Grimm Walter

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Hoffnungsträger der Gipfelstürmer
16.01.1945  –  04.05.1972
von Jürgen Gumpold

Lang ist es her, seit dem Tag, an dem uns die grausame Nachricht erreichte. Seit dem Tag, an dem wir unsere Arbeitsstätten verließen und uns trafen, um die Wucht des Ereignisses gemeinsam besser ertragen zu können. Seit dem Tag, an dem ich in mein Tourenbuch schrieb: „Walter ist tot! Er war unser Bester und er war ein guter Mensch. In unserem Kreis herrscht lähmendes Entsetzen und ich weiß nicht wie es weitergehen soll.“ Man sagt, dass die Dinge im Laufe der Zeit verblassen, dass sich alles perspektivisch verkleinert. Dies trifft auf die Person von Walter Grimm nicht zu. Ich sehe ihn heute noch so klar wie damals, so stark war der Eindruck, den seine Persönlichkeit auf mich gemacht hatte – und in vielen Gesprächen mit seinen Freunden erfuhr ich, dass es ihnen gleich erginge.

Ich sehe Walter vor mir voller Gegensätze: Den nervenstarken, eisenharten Naturburschen, der die Freunde manches mal aus schier ausweglosen Situationen geführt hatte und den sanften jungen Mann, der einem Freund einmal verriet, deshalb Gärtner als Beruf gewählt zu haben, weil er die Blumen so gern hätte, ich sehe ihn auch im Mittelpunkt unserer Besäufnisse beim Klang von Seppl’s Klampfe und den tiefreligiösen Menschen, der manchmal eine schöne Tour ausließ, weil er an diesem Sonntag in der Kirche auf der Orgel spielte.

Beim Klettern war Walter für uns das Maß aller Dinge und der Inbegriff der Sicherheit am Berg. Zwei Wochen vor seinem Tod hat er mich gehalten als mir im Ostriss der Martinswand ein Haken ausgebrochen war. Er hat es in seinem Tourenbuch nicht einmal erwähnt. Es war dies seine letzte Tour in der Heimat, kurz bevor er nach Frankreich fuhr, um bei einem Bergfilm mitzuwirken – und nicht mehr zurückkam. Die letzte Tour, das letzte Glied einer langen Kette.

Walter hat in seinem kurzen Leben so viele Touren gemacht – leichte, schwere und allerschwierigste. Ihm machte ein Klettersteig mit einem Anfänger genauso Freude wie die schwersten Touren mit einem guten Partner. Von der Fülle seiner Bergfahrten auch nur einen Abriss zu erstellen, würde an dieser Stelle viel zu weit gehen. Noch heute sprechen jene, die ihm am Berg begegnet sind, von dem Stil, in dem er schwierigste Kletterstellen fast spielerisch bewältigt hatte. Noch mehr jedoch ist die Rede von seinem Kameradschaftsgeist und seiner Hilfsbereitschaft, die wohl jeder von uns irgendeinmal zu spüren bekam.

Walter! – Der Schmerz ist erträglicher geworden, die Zeit hat ihre Wirkung getan. Wir sind seither oft beisammen gesessen und haben viele Gläser Wein auf dich getrunken, wenn wir dein Lied sangen. Auch in der Zukunft wirst du immer zwischen deinen Freunden sitzen, wenn die Klampfe klingt – aber nie mehr wird es sein wie früher, als wir noch deine Stimme hörten!

Walter Grimm in den Dolomiten

Erinnerungen an den starken, feinen, einmaligen Kameraden
von Walter Spitzenstätter

Der Rückblick auf die kurze Zeit, die Walter Grimm als Gipfelstürmer beschieden war, fällt als besonders intensiv auf. Erst im Jahr 1971 wurde Walter bei den Gipfelstürmern aufgenommen, was damals allgemein große Freude bedeutete, weil wir mit Walter Grimm einen Kameraden gewonnen hatten, den wir schon lange kannten und der zu den besten Kletterern der damaligen Zeit zählte. Das besonders traurige Ereignis seines Unfalltodes, woran er nicht die geringste Schuld hatte, setzte auch ein überraschend schnelles Ende seiner Mitgliedschaft als Gipfelstürmer. Er war somit wohl bis zu seinem Lebensende Gipfeler, konnte aber als solcher erst einen Tourenbericht abgeben – den von 1971.

Allein dieser einzige Tourenbericht als Gipfelstürmer weist 136 Gipfel mit Drei- und Viertausendern auf. Davon sind 76 Anstiege schwierige Klettereien, überwiegend im V. und VI. Grad. Als Einblick wo Walter in diesem Jahr überall „herumgekommen ist“ und was er dabei alles erreicht hat, hier ein Auszug:

8-mal  Martinswand Auckenthaler und Ostriss,
Hechenberg Lagger-Mair 2. Beg.            Auckenthalerturm

Rofan:
Rotspitze Mitteldurchstieg, Direkte, Pfeiler, Mauracher Verschneidung, Wahnsinnskante,                  Ostriss, Südkamin –  alle mehrfach

Kalkkögel:
Kl. Ochsenwand Auckenthaler, Himmel und Erde, Gipfelstürmerweg,
Riepenwand NW-Verschneidung
Steingrubenkogel W-Wand.

Wetterstein:
Scharnitzspitze Telfserweg,
Schüsselkar Knapp-Köchler,

Tannheimer:
Rote Flüh Südwand
Hochwiesler Südwand

Walter Grimm an der Fiames-Kante

Kaiser:
Fleischbank Dülfer mit Aschenbrennerrisse

Dolomiten:
1. Sellaturm „Tissi“   und Südrisse
2. Sellaturm Südwand
Sass Maor „Solleder“
Tofana di Rozes 1. Kante
Punta Fiames SO-Kante
Cirspitze Via Camerun

Mont Blancgebiet:
Aig. Du Midi Contamine,   Rébuffat,
Cosmique Südwand, Westriss, Via Cosmique
Pointe Lachenal Südwand
Grand Capucin Ostwand „Bonatti“
Mt. Blanc du Tacul Gervasuttipfeiler

 

Walter Grimm war lange Jungmannschaftsführer und hatte als solcher mit seinem ruhigen, überlegenen Wesen des Könners, die Jungen, die wir schon öfters nicht mehr verstanden hatten, bestens in der Hand und fand auch immer eine ideale Brücke, wennn es galt eine solche zu bauen. Er war aber nicht nur wichtig für uns, sondern er uns – und speziell mir – ans Herz gewachsen, weil er der wenigen war, die nach meiner Vorstellung “echte Bergsteiger” sind. Walter war nämlich in der höchsten Leistungsklasse der Kletterer und trotzdem bereiteten ihm alle Touren, ganz egal welcher Schwierigkeit, die selbe Freude – ja er ging sogar drei Mal hintereinander die Fiameskante, weil sie so schön ist und weil die Partner der nächsten Sonntage auch dahin wollten. Es war ihm egal, er ließ immer die Partner wählen, er selbst hatte auf jeden Fall große Freude mit der Tour, auch wenn er sie bereits zwei Mal geklettert war.

Viele Touren wollten wir noch zusammen angehen, vor allem wollten wir unbedingt gemeinsam den Marmoladapfeiler machen – wir hatten noch so viel vor . . .
Die Vorsehung hat es anders gewollt . . .

Szenenbild aus dem Brandler-Film

Im Mai 1972 passierte dann das schicksalhafte Ereignis, bei dem Walter an der  Aig. du Midi, nahe der Cosmique Hütte, in einer Gletscherspalte von einem riesigen Eisbrocken begraben wurde. Eine plötzlich abbrechende Eisschülper stürzte auf Walter Grimm, Milan Doubek, Carlo Agreiter und Egon Wurm. Carlo und Egon konnte man gerade noch aus den Eismassen befreien, während für Walter und Milan jede Hilfe zu spät kam – die Eismassen hatten sie erdrückt. Auf Anordnung von Lothar Brandler, der den Streifen „Der Blitz – Inferno am Mont Blanc“ drehte, begaben sich die Darsteller in die Spalte, um dort die harten Szenen nachzustellen, die bei der Katastrophe anlässlich des Rückzugs nach dem Versuch der Erstbegehung des Freneypfeilers, vier Menschenleben forderte. Dass es dabei noch zusätzlich zu einem derartigen Drama kommen würde, konnte wohl niemand ahnen. Für Walter Grimm und Milan Doubek hat es jedenfalls das Ende ihrer hoffnungsvollen jungen Leben bedeutet.

 

 

 

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