75 Jahre Gipfelstürmer 1911-1986

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75 Jahre Gipfelstürmer
Heli Ohnmacht

Irgendwo auf einem hohen Berg, der Gipfel und die Grate sind nebelumwallt, die Wände von Sonne und Schatten gezeichnet, befindet sich eine Schar von Menschen, deren ganzes Innere verschmolzen zu sein scheint eben mit diesen Wänden und Graten, den Zinnen, dem Schatten und dem Licht.

Wir sind es, liebe Freunde, wir blicken hinab ins Tal und sehen oder ahnen wie Männer in Lodenröcken, mit Hanfseilen und keckem Hut, dem Einstieg zustreben; ein Blick zurück um 75 Jahre, dorthin zurück, wo sich die Felsen aus den Matten drängen, die Kare abschütteln und zum Berg werden. Dort hat es begonnen.

Begonnen das gemeinsame Erleben von Höhen und Tiefen, von unbeschreiblichen Freuden nach gewagten Fahrten, egal wo immer, wie schwer und hoch. Des einen Gipfel in den Weltbergen war des anderen Sonnenuntergang im Karwendel.

Ob es die Alten waren, die dort unten, oder jene in den Bändern darüber oder wir hier heroben, was durften wir erleben, was haben wir gesehen und gefühlt. Wir haben Tränen vergossen vor Freude und wir haben sie still zerdrückt vor Leid.

Dann, wenn wir Abschied nehmen mussten von einem der ein Stück des Weges mit uns ging, mit uns fühlte, lebte, lachte und dann hinaustrat in den Nebel, seine vertrauten Konturen verlor, seine Stimme verhallte und uns nur mehr die Erinnerung blieb.

Ob sie uns wohl manchmal begleiten, dort draußen, wo die Sonne mit dem Nebel und dem Schatten der Grate ihr Spiel treibt? Wenn wir auch wissen, dass auch wir einmal auf dem weiteren Weg nach oben vom Nebel umhüllt werden und den Gipfel nicht erreichen werden, sind wir heute hier heroben auf dieser Kanzel glücklich, fröhlich ausgelassen und mit dem Erreichten mehr als zufrieden.

Junge Gesichter sind aufgetaucht, in fröhlichem, buntem Gewande. Sie haben neue Wege aufgezeigt, haben manchen mitgerissen und haben vor allem Großartiges vollbracht. Auf dem weiteren Weg nach oben wird es also weder an Phantasie, noch an Freude und Erfüllung, noch an herzlichem Lachen in ausgelassener Runde fehlen.

Es werden neue Freunde zu uns Stoßen und unseren wilden Bergruf mit uns hinaustragen um unserer Lebensfreude Ausdruck zu verleihen: “Wia miar heit wieder guat beinand sein!”.

Uns so darf ich, bevor wir wieder weiterziehen, noch all jenen dort drunten, denen auf den Bändern und allen hier heroben danken für das, was wir mit Ihnen auf dem Weg hierherauf erleben durften.

Freneypfeiler – Renaissance einer Gipfelstürmerseilschaft
von Kurt Schoißwohl

Robert Troier und ich haben uns im Jahr 1984 wieder zu einer erfolgreichen Seilschaft zusammengefunden. Die Voraussetzungen dafür waren ja schon lange gegeben. Unsere gemeinsame Vorliebe für lange, anstrengende Zustiege, die wir stets in Eilmärschen absolvieren, fast könnte man sie Masochismus nennen oder – wie unser Freund Jürgen – meinen “Die mögen sich ja selber nicht!”, dann unser gemeinsames Langlauftraining jeden Winter, unsere Lust an großen alpinen Unternehmungen und nicht zuletzt auch an ausgiebigen, von Rotwein verklärten Siegesfeiern. Beide kämpfen wir uns durch eine beginnende Midlifecrisis. Man versteht sich gut und hat für die Bedürfnisse und Gefühle des anderen ein gutes Gespür.

Begonnen hat es zu Pfingsten im warmen Kalk der Calanques. Die wundervollen Seillängen am “Passarelles-Pfeiler”, in der “Konversation”, in der “Super Sirene”, in der “Americaine directe” haben die Freude an der Bewegung, an der Schwierigkeit, am freien klettern geweckt. In einem längeren Urlaub haben wir dann den “Franzosenpfeiler” am Crozzon, die “Inwyler” am Tellistock und die “Grafferkante” an der Guglia geklettert. Dabei war uns besonders wichtig: 1. – die Sicherheit beachten, 2. – möglichst alles frei zu klettern – die Idee der Rotpunktkletterei hat mich ja schon lange infiziert – und 3. – trotzdem in einer guten Zeit durchzukommen. Die Matterhorn-Nordwand als Höhepunkt dieses Urlaubs war dann das gesuchte klassische Abenteuer – ein wundervoller Gang über eine steile, 1400 Meter hohe, kombinierte Wand, am Anfang in der Dunkelheit und Kälte der Nacht mit Stirnlampen, beendet mit einer sehr eindrücklichen Gipfelstunde in der warmen Abendsonne eines makellosen Bergtages. Ehrlich muss ich gestehen, dass wir beide dort oben sehr gerührt waren und uns einfach glücklich fühlten. Wir waren wieder eine Seilschaft geworden und hatten das, was schon verloren war, nach vielen Jahren wieder gefunden.

Dieser Sommer 1984 war vom Wetter und den Verhältnissen her nicht besonders günstig. Nur bei genauer Beobachtung der Möglichkeiten konnte man erfolgreich sein. So haben wir uns schon am Matterhorngipfel die Südseite des Mt. Blanc, den “Freneypfeiler” vorgenommen. Zwei Wochen war das Wetter eher schlecht. “Bul”hatte mir vom Monte Rosa, wo er in der Capanna Margherita ein höhenphysiologisches Labor betreibt, von über 70 cm Neuschnee berichtet. Doch dann war es soweit – wir beide hatten die Abfahrt auf Dienstag 200 früh fixiert. Die Ausrüstung hatten wir schon längere Zeit vorher gut überlegt und die neuen Überschuhe für die “Slicks” und darauf passende Steigeisen besorgt. “Spitz” hatte Wind von unserem Plan bekommen und auf einmal waren wir fünf Leute unterwegs nach Chamonix. Dort wurde um halb neun Uhr der letzte Wetterbericht gelesen: ein, zwei Tage Schönwetter waren uns fast sicher.

Am Vormittag wandern wir dann zu viert, “Spitz”, Christoph Rimmel aus dem Ötztal und wir zwei auf die Gambahütte. Der fünfte Mann, Reinhard Schiestl, hat andere Pläne. Walter ist ganz närrisch vor Auftrieb. Die Rucksäcke werden von der Seilbahn befördert. Das Anfangstempo ist mir fast zu schnell. Auf der neu erbauten Gambahütte, dem Rifugio Monzino, essen wir ausgiebig und trinken schon am Vormittag ein Glas Rotwein, so, als ob uns keine besonderen Probleme erwarten.

Doch dieser Freney-Zentralpfeiler kann wohl mit Recht als der interessanteste Weg auf den Mt. Blanc bezeichnet werden. Er hatte lange Zeit einen schaurigen Ruf. Beim Versuch der Erstbegehung kamen mehrere französische und italienische Spitzenalpinisten ums Leben. Ein Wettersturz hatte ihnen den Rückweg abgeschnitten, denn sowohl der Freney- als auch der Brouillard-Gletscher sind nach starken Schneefällen faktisch nicht zu begehen. Als sie aber nach einigen Tagen doch den Abstieg versuchten, kam es zur Tragödie: 4 von den 7 Bergsteigern starben an Erschöpfung. Ein Jahr später wurde der Pfeiler dann von Engländern (Bonington) erstbegangen. Seither gehört dieser Weg zu den ganz großen Zielen für alpine Kletterer. R. Messner und E. Lackner begingen ihn 1969 in einem Tag. Doch ein Biwak ist stets in Kauf zu nehmen, nämlich beim Zustieg am Col de la Fourche oder am Bivacco Eccles. Dafür benötigt man natürlich die ganze Daunenausrüstung, einen Kocher, Lebensmittel für zwei Tage und die gesamte Fels- und Eisausrüstung. Man kann also nicht so leichtlebig und locker unterwegs sein wie in einer Dolomitenwand. Jeder muss seinen Rucksack tragen und der ist für die Bewegungsabläufe der schweren Kletterei recht hinderlich.

Die zwei Biwakschachteln am Col Eccles erreichen wir nach einem dreieinhalbstündigen Gang über den Brouillard-Gletscher. Nebel zieht auf und die Wetteraussichten sind auf einmal gar nicht mehr so rosig. Beide Unterkünfte sind nun voll belegt. Die Mehrzahl der Anwärter sind Leute für den mittleren der drei Mt. Blanc-Grate, den Innominata-Grat. Mit Schwierigkeiten gelingt es mir, meinen Freunden eine Suppe zu bereiten, denn wir sind zehn Leute in dieser Sardinenbüchse und dies behindert mich beim Kochen schon sehr. So sehr uns dieses Gedränge einerseits lästig ist, ist andererseits gerade die Tatsache, dass auch wir in zwei Seilschaften klettern werden, sehr beruhigend. Dazu kommt noch, dass wir drei, Walter, Robert und ich, ja schon seit einigen Zeiten keine gemeinsamen Aktionen mehr gestartet haben und so freuen wir uns schon sehr auf die morgige Fahrt.

Am anderen Tag starten wir nach kurzem Frühstück um 500 Uhr in der Dämmerung. Eine Stelle 4. Grades mit der Stirnlampe nötigt Robert und mich zum Anseilen. Walter und Christoph verwenden kurz unser Seil, ebenso ein französischer Einzelgänger, der ohne Stirnlampe in der Gegend umherirrt. Vom Point Eccles – das wäre schon der erste Viertausender – seilt man sich kurz ab und gewinnt durch eine längere Rechtsquerung und wieder durch Abseilen den Firnhang, der hinaufführt in den rötlich-gelben Granit unseres Pfeilers. Die Sonne geht auf, auf der Südseite drohen mächtige Wolkenbänke, wir sind uns unserer Sache nicht mehr so sicher. Zwei Franzosen, die die Nacht hier heroben in einem Freibiwak zugebracht haben, verzichten und wenden sich dem Peuterey-Grat zu. Doch für uns ist der Pfeiler schon viel zu sehr eine fixe Idee.

Mit den Steigeisen, gesichert an einem “Snark”, steigen wir über den Bergschrund und nach weiteren 50 Metern können wir endlich die schweren Schuhe, Steigeisen und Pickel verstauen. Es ist 730 Uhr. Wir sind am eigentlichen Einstieg. Freies Klettern mit den Reibungskletterschuhen im fünften und sechsten Grad erwartet uns. Die Sicherungen müssen teilweise selbst gelegt werden. Sehr beeindruckend ist eine 30 Meter lange Piazschuppe, wo mich der Rucksack schon ganz schön nach außen zerrt. Robert und ich steigen voraus. Da die Höhe sich bemerkbar macht, haben wir einen kräftesparenden Rhythmus vereinbart. Drei Seillängen steigt der eine voraus. Dann übernimmt der andere für drei Längen die Führung und so fort. Dies hat den Vorteil, dass man jeweils nach 40 Metern schon rasten kann. Außerdem kann man seine Seillängen jeweils mit frischen Kräften führen. Robert ist heute besonders in Form. Ein Dach, dessen Einriss von Eiszapfen blockiert ist, umgeht er rechts in einer Platte, legt eine Sicherung und steigt zudem ohne Berührung der vorhandenen Haken. Wir fühlen uns in dieser Schwierigkeit zu Hause. Walter macht Bilder zu uns nach vorne und nach hinten zu Christoph. Er darf heute nämlich fast alles vorsteigen, da Christoph erst kurz von einer schweren Fingerverletzung wiederhergestellt ist.

Der oberste Teil des Pfeilers ist die Chandelle. Sie ragt steil und turmartig empor. Vom Einstieg schon bemerkten wir zwei italienische Seilschaften, die hier biwakierten. Als wir am Beginn der Chandelle nur mehr zwei Seillängen hinter den Italienern sind, sind wir mit unserem Vorwärtskommen sehr zufrieden. Jetzt wird es allerdings schwierig. In technischer Kletterei haben die Erstbegeher einen Durchstieg erzwungen. Die Standplätze sind teilweise in Schlingen zu beziehen, die vorhandenen Haken sind eher schlecht. Überhaupt habe ich gar keine Trittschlingen mit und erst, nachdem ich bis an meine Grenze frei geklettert bin und die Arme schon ganz dick und verhärtet sind, entschließe ich mich, technisch zu steigen. Sicher ist auch dieser letzte Teil frei möglich und übersteigt den 7. Grad nicht, aber mit einem Rucksack in 4.400 Meter Höhe geht’s halt nicht. Vo allem der letzte, weit überhängende Risskamin mit einem Abschlussdach blockiert uns einige Zeit. Die Ausgesetztheit ist schaurig. Robert löst dieses Problem jedoch in seiner kraftvollen Manier, die beiden Rucksäcke werden aufgeseilt und ich kann halb frei, halb mit Hakenhilfe nachkommen.

Nach herrlichen Plattenpassagen erreichen wir den höchsten Punkt, das Ende der schweren Kletterei und haben zu den Italienern aufgeschlossen. Es ist halb drei Uhr Nachmittags. Die letzten Seillängen sind wir sehr konzentriert gewesen. Ein Blick in die Runde zeigt, dass wir uns beeilen müssen. Das Wetter schlägt um. Ein böiger Wind kommt auf. Nach kurzem Abseilen ziehen wir wieder schweres Gerät an und steigen zuerst zum Brouillard-Grat. Einen lästigen steilen Firnhang begehen wir mit Seilsicherung. Von dort oben führt ein eindrucksvoller Grat zur Kalotte des Mt. Blanc. Uns kann nichts mehr halten. Wegen des Sturmes dick vermummt ziehen wir am kurzen Seil los und sind mit unserer Verfassung sehr zufrieden. Ohne einmal stehen zu bleiben erreichen wir in schönem Steigrhythmus den Gipfel. Es ist 1630 Uhr. Das Abenteuer ist bestanden. Eine halbe Stunde später sind auch Walter und Christoph da. Wir umarmen uns und freuen uns natürlich, dass wir drei “Gipfelstürmer” einem Ötztaler wieder einmal “die Wadl nach vorne gerichtet hätten”. Nur ein Ausdruck dafür, dass aller Stress abfällt und der gemütliche Teil beginnt. Bald erreichen wir die Grand Mulets-Hütte, wo wir uns von den Strapazen dieser wirklich großen Bergfahrt erholen.

Pflerscher Tribulaun NW-Wand
von Robert Troier

Unter den letzten Strahlen der tiefstehenden Sonne sitzen wir, Kurt Schoißwohl, weitum bekannt als “Gagga” und ich, neben dem Gipfelkreuz. Wir sind nervlich noch zu angespannt, um uns über die Begehung dieser wohl zu unseren eindruckvollsten Bergfahrten zählenden Tour zu freuen. Beide hängen wir unseren Gedanken nach. . . . .

Schon in jungen Jahren, als wir Mitglieder der “Alp. Ges. Gipfelstürmer” wurden, hatten wir diese Wand als Ziel im Auge. Wurde sie doch 1945 von “Gipfelstürmern”, Kuno Rainer und Herbert Eberharter, erstbegangen. Leider kam immer etwas dazwischen, auch die eigene Unfähigkeit. Sie blieb aber über zwei Jahrzehnte einer meiner Träume.

Um 8 Uhr war ich mit Kurt verabredet. Er hatte schon eine Stunde gewartet, ich hatte natürlich die Zeitumstellung genützt, um eine Stunde länger schlafen zu können. Wir waren uns nicht einig. Kurt zog es zur Pordoi, ich war aber gestern an der Ciavazes, so hatte ich wenig Lust, wieder in den Süden zu fahren. Verstohlen holte ich den Stubaiführer aus der Tasche und erklärte mein Vorhaben. Die Begeisterung hielt sich bei Kurt in Grenzen. Da er aber noch nie am Pflerscher war, willigte er ein. Um 9.30 Uhr saßen wir in der Tribulaunhütte und hatten es absolut nicht eilig. Meine Zehen dankten es mir, hatte ich doch die Turnschuhe zu Hause vergessen. Mit den Slicks würde ich bis abends sowieso meine Wunder erleben.

Nach 5 Tee mit Rum (2 für Kurt, 3 für mich) waren wir soweit, um etwas beflügelter das nicht enden wollende Schotterkar zum Einstieg anzugehen. Der Ausspruch “zwei Schritte vor, einer zurück” hatte hier volle Gültigkeit. Sogar teilweise auf allen Vieren bewegten wir uns aufwärts. Ein Altschneegürtel unter der Wand musste erst mit Kerben gangbar gemacht werden. Bergschuhe wären oft recht brauchbar.

Bis hierher kam ich 1982 mit Roman, der aufkommende Regen trieb uns aber ins Tal. Wenn ich damals eine Ahnung von der Gefährlichkeit dieser Wand gehabt hätte, ich hätte sie in Ruhe gelassen. Wir standen nun am Beginn der Rampe, die von links nach rechts in den Winkel der NW-Wand zieht. Aber welch ein Schotterhaufen bot sich uns. An der Rampe bis 10 cm Schuttauflage, über uns lose Felsgebilde. Wir hatten Glück, ohne Zwischenfall zum Einstieg zu gelangen. Es war 12 Uhr. Bergsteiger befanden sich schon im Abstieg vom Normalweg. Meinen Einwand, dass es reichlich spät sei, tat Kurt mit der Bemerkung ab, er gehe dieses endlose Schinderkar nicht noch einmal.

Zehn Meter über mir fand Kurt den ersten verrosteten Haken, wir waren am richtigen Weg. Die nächste Seillänge war erstaunlicherweise relativ fest. Aber was hernach bis zur markanten Felsschuppe kam, konnte man nur als senkrechten Schutthaufen bezeichnen. Ich entschuldigte mich bei Kurt, es war mir peinlich, ihn für diese Tour überredet zu haben. Ab der markanten Schuppe veränderten sich die Wandverhältnisse vollkommen. Gelbschwarzer, überhängender Fels, fast keine Spuren unserer Vorgänger. Sicher nicht mehr so brüchig, aber durch die Zunahme der Schwierigkeit noch gefährlicher. Kurt legte einen Keil, stieg Richtung Haken, der uns zehn Meter oberhalb den Weg wies. Der Keil war inzwischen wie bei einer Seilbahn bei mir gelandet. Der Haken erwies sich auch als Niete. Während Kurt mit letztem Einsatz einen Keil legte, kam der Haken zu mir herunter. Ich darf nicht daran denken, wenn hier was passiert wäre.

Eine ansteigende Querung brachte mich hinter einen Felskopf. Der Weiterweg war nun ein Rätsel. Wir einigten uns, über eine 30 Meter hohe Wandstelle weiterzusteigen. Erst beim dritten Anlauf, nachdem Kurt zur Motivation den Pullover auszog, gelang es ihm, darüber hinwegzukommen. Die Erstbegeher hatten diese Seillänge, nebenbei die Schlüsselstelle, bei der Beschreibung vergessen. Da Kurt so gut in Schuss war, durfte er gleich weitersteigen.

Oberhalb eines schwarzen Risses räumte er kopfgroße Steine ab. Der Bruch war hier wieder fürchterlich. Der Haken, der uns weiter unten anheim gefallen war, wurde von Kurt zur Sicherung eingeschlagen. Selber hatten wir leider keine passenden mit. Beim Nachsteigen brach mir ein auf einem Schichtband liegender Quader aus und ich flog hinaus. Der Block entschwand zwischen meinen Füßen und krachte weit unten auf dem Vorbau auf. Ich war sofort wieder am Fels, Kurt hatte gut aufgepasst. Mit voller Wut über meine Unachtsamkeit war ich in Windeseile über diese schwierige Passage. War es doch das erste Mal, dass ich aus Eigenverschulden abgehoben hatte. Bei Kurt angelangt, besahen wir uns den Weiterweg und stellten zufrieden fest, dass es nur mehr 40 Meter im fünften Grad zu klettern waren. Nun wussten wir, dass wir ohne Biwak durchkommen würden.

Robert . . . . Kurt reißt mich aus meinen Gedanken. Wir haben nur mehr eine Stunde Tageslicht, um ins Tal zu gelangen. Schnell hängen wir uns alles um und fast im Laufschritt erreichen wir bei Dunkelheit die italienische Hütte. Den Anstieg zum Sandesjoch legen wir im Laufschritt zurück. Ins Gschnitztal hinunter schleichen wir wie alte Damen, sind wir doch beide kniegeschädigt.

Aber groß ist jetzt die Freude über diese selten begangene Tour. Voller Hochachtung sprechen wir über das Können und den Mut der Erstbegeher. Bei der Hütte, die Pächter haben leider heute Nachmittag zugesperrt, erbarmt sich Kurt und wir wechseln die Schuhe. Nach mehrmaligem Rasten erreichen wir um 21 Uhr das Tal, wo wir unser herrliches Abenteuer mit einem ganz kleinen Umtrunk ausklingen lassen.

Don Quichotte
von Reinhard Schiestl

Manchmal bin ich auf der Suche des Besonderen. Da kann es Winter sein und Nacht, dann steige ich auf irgendeinen Gipfel und suche unbekannte Gefühle. Es war schon dunkel, als ich in die Marmolata fuhr, allein der schmalen Straße zum Fedajapass folgte. Da stand der Mond orange über dem See; wie eine Fahne, die winkte. Wie ein Gespenst, das mich einlud in eine fremde Welt der phantastischen Gedanken. Ich wäre gerne geblieben, mit einem Bett aus Sternen und Träumen. Aber ich fuhr weiter,weil ich vielleicht Angst hatte. Dann traf ich überraschend meine Freunde. Sie wachten auf vom Licht der Scheinwerfer, welches sich an den kalten, von Nässe beschlagenen Scheiben brach. Und weil ich allein war, ahnten sie meine Pläne und luden mich ein, mit ihnen zu klettern. Morgen, wenn es schön ist. Und ich war froh und traurig zugleich, weil ich nicht mehr allein sein musste, aber das Erlebnis der Gedanken, das Alleinsein in einer Landschaft voller Windmühlen, welche Hoffnung mahlen und Angst und Glück . . . . nicht mehr vorhanden war.

Noch in der Nacht waren wir aufgebrochen und erst das bleierne Grau des Morgens hatte die Käuzchenrufe vertrieben, die so gut zu meiner anfänglichen Stimmung passten. Mit ihnen verschwanden auch die dunklen Schatten und wurden abgelöst von einfachen, freundlichen Bildern; einem neuen Ziel, das jetzt Gestalt annahm. Am späten Vormittag gaben wir bei einem Kamin auf. Wir waren zu langsam, der Weiterweg ein Bach. Also war da für uns nur mehr ein kleiner Funke der Hoffnung es wo anders zu versuchen, obgleich es sinnlos war, an einen Durchstieg an einem Tag zudenken. Darum sollte es auch nur ein Erkundigungsversuch sein, als wir ohne jegliches Gepäck, mit nur acht Haken, um 1/2 12 Uhr Mittags neu einstiegen.

Luisa blieb freiwillig zurück, als Heinz und ich ihr unseren Plan sagten. Aber schon bei dieser Mitteilung brannte wohl schon in jedem von uns der Wunsch, so weit zu steigen, als nur irgendwie möglich. So weit bis die achthundert Meter zu Ende wären. Als wir schließlich knapp nach Mittag am großen Band standen, mussten wir uns entscheiden. Da war eine sehr schwere Passage gleich oberhalb des Bandes. Und als Heinz diese gemeistert hatte, gab es noch immer die Möglichkeit weiterzusteigen. Die Möglichkeit! Über uns lagen noch immer zweihundert bis dreihundert Meter unüberschaubarer Fels und da war ein Tag und ein Traum, welche sich trafen: Und es wäre so leicht, dem Traum nachzusteigen, solange dem Ungewissen zu folgen, bis man Gewissheit hätte. Aber da waren die Zeit und die mangelhafte Ausrüstung, da gab es die Vernunft und das sich rasch verschlechternde Wetter. Warum wir trotzdem weiterkletterten, vermag heute keiner mehr zu sagen; vielleicht, weil wir schon schweigend aneinander vorbeistiegen (Dabei hätte es, wie wir uns später danach fragten, nur des kleinsten Hinweises , der Unsicherheit bedurft, um den Rückzug anzutreten. Wusste doch jeder um das große Risiko, die Fragwürdigkeit des Unternehmens; wartete doch jeder auf das Kommando des Freundes und verstand keiner, warum der andere noch immer weiter kletterte).

Als wir dann später in den nassen Platten waren, ohne Ausweg, mit einer Hoffnung, welche der Regen und die Kälte langsam wegwuschen, da waren die Windmühlen doch zur Wirklichkeit geworden. Das relativ leichte Gelände wurde jetzt schwierig, glatt. Ein einziger, steiler werdender Riss erlaubte ein Höherkommen. Verbissen, wie von einem Dämon besessen kletterten wir, als wir wussten, dass der Rückweg schon lange unmöglich war. Dann begannen Graupeln und Regen die Musik zu dieser Fahrt zu schreiben.

Der Riss verlor sich in einem Überhang, geschlossenen Platten. Und die Gefühle änderten zwischen einer leisen Angst, Hoffnung und der dumpfen Gleichgültigkeit, welche eintritt, wenn man nicht mehr über das Folgende nachdenkt und zur Maschine wird. So war es auch, als ich am Stand unsere letzten Haken einschlug, nachdem ich aus dem Riss über eine Platte direkt an die Kante des Pfeilers klettern konnte. Ich stand an einem kleinen Überhang, die Finger in einen brüchigen Griff verkrallt. Die Leere unter mir dämpfte der Nebel, aber in die Kleidung saugte sich die Nässe und in die ausgestreckten Arme rann das Wasser. Ich kam mir vor wie ein Clown, der auf seiner Flöte Töne spielt, die nicht zum Vorschein kommen.

Irgendwie stand ich dann doch darüber, hatte der Griff gehalten. Jetzt sah ich zu, wie Heinz die krummen Haken aus der Wand schlug, um sie in der nächsten Länge wieder hineinzuschlagen. Ich folgte dem Fluss der Graupelkörner, haltlos bis in die tiefen, eisgepanzerten Kamine der Phillip-Variante. Als Heinz weiterstieg, besaßen wir nur mehr wenige Haken, aber der Wind zeigte uns kurz den Gipfel. Es folgte noch eine wilde Länge; mit klammen Fingern und zwei verbogenen Zwischenhaken, erst dann wurde das Gelände leichter.

Irgendwann später, als sich schon das milchige Grau des Tages mit der anbrechenden Nacht mischte, hatten wir die Gewissheit um unseren Traum. Es waren etwa acht Stunden seither vergangen und von einem Gratturm konnten wir gerade noch eine steile Schneerinne absteigen, bevor uns die Dunkelheit unseren Erinnerungen überließ. Zwei Windmühlenritter im Schnee, im Schotter . . . . Im Abstieg zwei nasse Verrückte.

Wo der Kondor wohnt!
von Horst Klotz

Schweiß läuft durch die Brauen in die Augen und an der Nase entlang bis in den Mund; die Last meines Rucksackes ist schwer und zwingt meinen Beinen eine Pause auf. Ganz langsam setze ich mich auf einen großen Stein und beobachte, wie meine Freunde vorsichtig balancierend einen Fuß vor den anderen geben und mühsam über den Schutt des Moränenrückens herabsteigen. Ich schließe meine Augen. Unvermittelt sitze ich der Vergangenheit gegenüber, unaufhörlich kehrt mein Gehirn die Scherben der Erinnerungen unseres Spiels der letzten Wochen zusammen – eine andere Wirklichkeit . . .

Eigentlich war nur ein lauter Knall zu hören und schon bewegten sich die Schneemassen ringsum. Steven, der gerade noch wie ein Maulwurf die Steilflanke emporwühlte, fällt mitsamt dem Schneebrett an mir vorbei in die Tiefe. Ich habe verdammt viel Glück, höre lautes Rauschen, werde nicht mitgerissen. Alles in mir hat sich verklumpt zu einem einzigen Gefühlsmatsch, zu Entsetzen, als ich Steven mit bloßen Händen vollends ausgrabe. Auch er hatte Schwein; gemeinsam lachen und weinen wir. Mit einem Knacks in der Psyche steigen wir zum Hochlager ab. So wie alle Tage fängt es gegen Mittag zu schneien an. Totale Trostlosigkeit macht sich im Hochlager breit, das, einem Adlerhorst gleich, an den Felsen zu kleben scheint. Vergebens warten wir alle auf Wetterbesserung. Wir, das sind Steven de Untch und Ad Assay, zwei amerikanische Bergsteiger, mein Freund Georg Plattner und ich, alle mit dem gemeinsamen Ziel, den SO-Grat des ca. 6000 Meter hohen Alpamayo in den Cordilleren Perus zu versuchen. Ein verrücktes, gefährliches Spiel bei diesen Schneeverhältnissen.

Wir – das ist das Wort, das es überhaupt ermöglicht hier auszuhalten, in einer Zone eisiger Einsamkeit, wo keine Liebe wohnt, wo Menschen nicht hingehören, dort oben, wo der Kondor wohnt . . . In der Dunkelheit des Nylonzeltes gehe ich alle Berge und Wände durch, die ich bestiegen habe. Dicht aneinandergereiht, einem Panoramabild gleich, ist ein Berg mit dem anderen verbunden. Und wie Sysiphus gezwungen einen Stein vor sich herrollend, so besteige ich einen Berg nach dem anderen. Doch so sehr ich mich auch konzentriere, den Alpamayo sehe ich nirgends. Schreckliches Getöse zerreißt das Bild; in Panik stürzen wir ins Freie. Ein kleiner Rülps der hundert Meter über uns hängenden, kirchturmhohen Seracs, eine Eislawine, donnerte bis 20 Meter vor unser Zelt. Fürchterliche Angst breitet sich in mir aus, konzentriert sich in der Magengegend bis mir übel wird – wir waren nur 20 Meter von der Ewigkeit entfernt, lediglich ein Flügelschlag des Kondors weit.

Am Morgen wollen wir alle noch weitermachen, zwar mit Einschränkungen, doch jeder glaubt an sein persönliches Glück. Zu gottverlassenen, rucksacktragenden Eunuchen ernannt, geht es mühsam im Neuschnee voran. Unterhalb des Gratbeginns treiben heftige Kopfschmerzen Georg zurück ins Hochlager. Die anschließende Kletterei wird immer schwieriger, zudem zwingt uns einsetzendes Schneetreiben zu großer Eile. Ohne Skrupel benützen wir die zurückgelassenen Fixseile vorangegangener Expeditionen; es sind zwar meist nur ein paar Meter von den Eis und Schneemassen frei, dankbar sind wir trotzdem für jeden so gewonnenen Höhenmeter.

Dann verwehrt ein gigantischer, weit abgesprengter Eisturm, der den Gesetzen der Physik nicht zu unterliegen scheint, jedes Weiterkommen. Jeden Augenblick kann er zu unserer Plattform herabdonnern. Ein direktes Überklettern wäre glatter Selbstmord. Der Seitenblick auf meine Schicksalsgefährten bestätigt, dass ich der Auserwählte bin, der die notwendige Umgehung in dem lawinenschwangeren Couloir führen soll. Ich weiß, dass es nicht gut gehen wird, zögere die Traversierung zu beginnen. Trotzdem, “Take care Steven” und mit dem bestimmten Gefühl in der Magengegend quere ich hinaus. “Ich hab’s gewusst!” das waren meine einzigen Gedanken, als ich wie mit einem Fahrstuhl mit dem Schneebrett abfahre. Komisch, eigentlich hatte ich keine Angst um mich, befürchtete nur, dass der Turm abbreche und meine Freunde begrabe. Schneestaub überall, es dauert lange bis sich der Staub legt, warte lange auf den so beruhigenden Ruck von oben. Dann ein heftiger Stoß in der Brustgegend.

Tränen der Verzweiflung fließen; das Drama hatte nur Schnee, Eis und schwarzen Felsen als Zuschauer. Mir reicht es. Steven und ich wechseln harte Worte über die senkrechte Entfernung hinweg. Mit der Gewissheit unserer Hoffnungslosigkeit bei diesem Spiel, wo nur der Berg die Regeln kennt und wir zu akzeptieren haben, steige ich hoch. “Shit Steven”, ich habe genug, hier ist einfach zu viel weiße Scheiße und Scheiße kann man niemals in den Griff bekommen. Vor Verzweiflung ramme ich meine Faust in den Schnee. Dreimal hatte ich großes Glück, hätte mein Leben bei diesem dummen Spiel verlieren können. Ad und Steven begreifen, am Ende akzeptieren sie. Froh, dass unser aller Leben nicht draufgegangen ist, klettern wir zurück. Das Geräusch losgetretener Steine bringt meine Gedankenburg zurück in die neue Wirklichkeit, bringt mich zurück zum Stein auf dem ich sitze. Ich öffne die Augen. Meine Freunde kommen näher, setzen sich neben mich. Erlebnisleichen sind Expeditionen, an denen man schwer kaut und die man schwer vergisst. Dass wir alle noch Leben, zählt nur hier und jetzt. Zuhause in der so genannten Zivilisation, bedeutet Leben Selbstverständlichkeit. Man ist zu sehr mit den Alltäglichkeiten, mit Geldverdienen, mit Konzentration angeblich wichtiger Dinge wie Macht und dgl. beschäftigt.

Hier ist nur eines wichtig, dass man stark ist und den Abstieg zum Basislager schafft. Ich blicke in ihre Gesichter, sehe aber nur eine leblose fahle Schale. Ausgezehrt sind ihre Gesichter, gezeichnet von den Strapazen des zweimaligen Anmarsches durch das Santa Cruz Tal, vom zweimal Basislager aufstellen, vom Lasten schleppen, vom psychischen Druck erfolgloser Kletterversuche, die langsam im Schnee ertranken. Nur ihre Augen geben Mut und Gewissheit, dass ein drittes Mal dort oben ein Hochlager bezogen wird, dort wo der Kondor wohnt!

Astroman – Die Ostwand am Washington Column
von Reinhard Schiestl

Es war noch fast dunkel als wir aufbrachen, angenehm in der Kühle der Nacht. Die Rucksäcke schnitten an den Schultern ein beim Emporturnen an den am Vortag fixierten Seilen. Und als wir am höchsten Punkt von gestern angelangten, begann die aufgehende Sonne gerade den Fels zu erwärmen und tauchte ihn in rot-orange Farben, rot und gelb und überhängend unsere Umgebung.

Vor knapp drei Wochen sah ich sie zum ersten Mal, die Ostwand des Washington Column. Irgendwo im senkrechten Granit hing eine Schlinge, hoffnungslos einsam. Wir hatten mehr als nur Respekt. Bisher erst von einer Handvoll Kletterern durchstiegen, zählt der “Astroman” mit seinen sechs 5.11er Seillängen zu den schwersten Routen im Yosemite Valley.

Heinz und Robert, meine Kameraden, waren unterwegs, um sich das Land anzuschauen, während Wolfgang und ich den “Astroman” versuchen wollten. Beide hatten wir noch zwei Tage Zeit und da wir nichts Besseres wussten, sind wir gestern eingestiegen.

Wofgang Güllich im unteren WandteilEin kurzer haarfeiner Piazriss brachte mich gerade noch rechtzeitig auf einen kleinen Absatz; darüber meisterte Wolfgang einen etwa 40 Meter hohen Hand- und Piazriss, ruhig und sicher wie eine Maschine; noch nie hatte ich einen so guten Risskletterer gesehen. Heute waren diese Seillängen ganz einfach, mit Jümarhilfe erreichten wir schnell das “Overnight Ledge”. Unten am flachen Vorbau hatte sich unterdessen ein Zuschauer eingefunden. Er winkte zu uns herauf. Als wir dann unter dem “Harding Slot” Stand machten, war der Punkt verschwunden.

Rißkletterei im unteren WandteilZwar ist der “Harding Slot” nicht die schwerste Stelle der Tour, dennoch muss er als eine der Schlüsselstellen der Wand bezeichnet werden. Nach einem kurzen 5.11er Riss bildet ein stark überhängender, schmaler Kamin die Fortsetzung. Bei ihm kommt es einzig darauf an, ob man schlank genug ist um durch den Kamin schlüpfen zu können. Es dauerte lange, bis ich diese harte Seillänge hinter mich gebracht hatte, doch nun stehe ich auf einem kleinen Absatz über dem Kaminriss und überlege, was mich mehr angestrengt hat, der beängstigend enge Durchschlupf, der meiner Hose endgültig den Garaus gemacht hat oder der schwierige Riss dorthin. Hin und wieder können auch verhältnismäßig einfache Kletterstellen den Schweiß des Kletterers verdoppeln, wenn sie nur unangenehm genug sind. Da Wolfgang wesentlich athletischer gebaut ist als ich, hatte mir eigentlich nur der “Harding Slot” Kopfzerbrechen bereitet. Bei allen anderen schwierigen Stellen war es zumindest sehr wahrscheinlich, dass wenigstens Wolfgang den großen Schwierigkeiten gewachsen war. So hatten wir uns auch die Seillängen entsprechend eingeteilt, dass er die drei längsten 5.11er Seillängen führte, während mir ein kurzer Riss, der “Harding Slot” und die Schlusswand blieb.

Bis zum “Slot” war der Nachsteiger meist am fixierten Seil nachgejümart, mit nur einer Steigklemme und dem Rucksack am Rücken. Um Kraft und im Endeffekt Zeit zu sparen, beschlossen wir jetzt, den Rucksack nachzuziehen und als Nachsteiger in altbekannter Weise zu klettern. Mit Geduld (Wegen des Rucksacknachziehens) und spürbar weniger Kraftaufwand erreichen wir endlich das große Dach knapp unter dem Gipfel. Ein ausgesetzter Quergang führt auf ein Band unter der Schlusswand. Wir haben zwei Möglichkeiten, A3 oder 5.11, wir entscheiden uns für die Freikletterei. Bisher hatten Risse, gut abzusichern, den Stil der Kletterei bestimmt, nun finden sich in einer für Yosemite-Kletterei ungewohnt brüchigen Platte fragwürdige Haken, Copperheads und Nuts, die den Weg weisen. Gegenüber leuchtet der Half Dome bereits im Abendrot. Zum Fotografieren fehlen uns die Zeit und ein neuer Film und so schön die Abendstimmung auch war, keinesfalls wollen wir sie bei einem Biwak genießen.

Also auch nicht mehr lange überlegen, ob die Zwischensicherungen gut sind. Nach den ersten Schritten bleibt mir jede Wahl versagt. Um nicht zu stürzen, muss ich so schnell als möglich die Leiste inmitten unserer Platte erreichen. Und doch ruhig bleiben, zu mal man jedem Sicherungspunkt seine Fragwürdigkeit ansieht. Mit meiner Kletterkunst am Ende, zwei, drei Meter fehlen noch, winzige Kerben für die Fingerspitzen, die Füße irgendwie auf Reibung, muss ich wohl oder übel doch noch für 2 bis 3 Meter in die Haken greifen. Ich war falsch gegangen, bin den Keilen gefolgt, statt vom Band nach rechts oben hinauszuklettern.

In der Dämmerung fand Wolfgang dann den richtigen und freien Ausstieg. Gemeinsam hatten wir den “Astroman” also doch gemacht. Vor zwei Tagen hatten uns Hans und Richard noch belächelt wegen unseres Planes; in stockdunkler Nacht stolpern wir ihnen entgegen, glücklich. Ernsthaft taucht nun die Frage auf, was denn schwerer sei: Die Kletterei im “Astroman” oder bei Dunkelheit auf allen Vieren stundenlang durch den Wald ins Lager zu kriechen.

Die Faust im Nacken – Bericht über eine Begehung von “Moderne Zeiten”
von Stefan Bichlbauer

Ich kann es nicht fassen, es ist unglaublich, wir haben vier Tage schulfrei. Endlich mal raus aus der geistigen Sahara, endlich mal dem Ruf folgen, “jeder Tag an dem du nicht kletterst, ist verloren.” Ein für allemal verloren. Noch sitze ich in der Schule, starre zum Fenster hinaus, blauer Himmel, Sonnenschein, ich sehe mich schon in irgendeiner Route, an irgendeinem Berg, auf einem Standplatz in der Sonne sitzend, das Leben genießen, nicht hier im Saal 13 den “psychischen Vietnamkrieg” kämpfend, ohne Siegeschancen und ohne Hoffnungsschimmer. Irgend so ein geistiger Krüppel will mir unbedingt klarmachen, wie man den Transistorarbeitspunkt einstellt, scheiß drauf, Hauptsache klettern. Das Läuten der Glocke signalisiert das Ende der Qual, jetzt nur schnell zum Auto, nichts wie hin zu einem Felsen, sich erleben, seinen Körper gebrauchen.

Fast hätte ich meinen Plan für die vier Tage vergessen. Ich will zur Marmolata, “Moderne Zeiten”, ich muss diese Tour im Kasten haben. Zuviel habe ich schon gelesen und gehört über dieses Superlativ im Dolomitenfels. Ein Problem gibt es noch zu lösen, welchen Partner, wo um Himmels Willen bekomme ich jetzt für vier Tage einen guten Kletterer her? Ich sehe mich im Höttinger Steinbruch um und habe Erfolg. Mir fällt sofort ein besonders guter Mann auf, er heißt Georg, ist Medizinstudent, ist sofort Feuer und Flamme für meinen Plan – – – die vier Tage sind gerettet.

Stefan BichlbauerIn aller Frühe geht es los. “Mein Gott, sind die Berge schön”, denke ich mir, als wir bei Sonnenaufgang schon am Sellapass stehen, in der Ferne die Marmolata, majestätisch aus dem Talnebel ragend, die morgendlichen Sonnenstrahlen tragen das ihre zu diesem überwältigenden und ästhetischen Anblick bei. Kehre um Kehre, endlos scheint diese Passstraße, bleischwere Füße von dieser langen Fahrt machen uns beim Aufstieg zur Hütte schwer zu schaffen. Nicht enden will der Weg, die letzten Stufen bis zur Hüttentür sind wie eine Ewigkeit. Heute geht nichts mehr mit der Tour, wir erkunden jedoch den genauen Einstieg und verwirklichen uns dann an den riesigen Blöcken hinter der Hütte. Zwei zwanzig Meter lange Toprope-Routen im neunten Grad sind der Lohn, wir sind beide in Topform, die Haut an den Fingerspitzen ist auch ok. Das Wetter hält bestimmt, eine ganze Woche Hochdruck verspricht der Wetterbericht. Es ist Zeit zum Schlafengehen, wir starren in das idyllische Licht der Öllampe, jeder hängt mit seinen Gedanken schon in der Wand. Dies wird eine unruhige Nacht, ständig werde ich wachgerüttelt, Georg geht es ebenso. Immer wieder schaue ich auf die Uhr, wie lange doch so eine Minute sein kann, der Stundenzeiger will und will sich nicht bewegen, nach qualvollem Warten steht der Zeiger schließlich auf sechs Uhr.

Um Zeitverlust bei der allmorgendlichen Bekleidungszeremonie zu vermeiden haben wir uns vorsorglich samt Turnschuhen und Klamotten in die Kojen geworfen. Wir wuchten uns die Rucksäcke auf den Buckel und prügeln in zwanzig Minuten zum Einstieg hinauf. Es ist erst halb sieben, viel zu früh, um sieben Uhr ist unser Start geplant. Zum Zeitvertreib würgen wir unsere einzige Mahlzeit, einen Bund Feigen, hinunter, zum Trinken gibt es nur Schmelzwasser, das über die Wand rinnt, “living with the dirt” (Eins sein mit dem Dreck). Der Sand zwischen den Zähnen macht uns noch lange zu schaffen. Ich muss die erste Seillänge führen, beißende Kälte lässt mich jeden Kontakt mit den Karabinern, Haken und unzähligen Keilen vermeiden. Haken, wieso Haken, erst jetzt sehe ich die Bescherung. Wir haben keinen Hammer. Georg meint, wir würden ohnehin keinen Rückzug machen und bräuchten daher sowieso keinen dieser Stifte, ich schließe mich seiner Meinung an und werfe diese elendschweren Stahlhaken achtlos neben die Rucksäcke.

“Saukalt!”, entfährt es mir beim Berühren des ersten Griffes, aber was soll´s, ist ja nur “sieben”. Diese Überheblichkeit hätte mir dann um ein Haar sehr Leid getan. Der Fingerriss unterm Stand bringt mich fast zu einem zwanglosen Abgang, welcher nur durch den Gedanken an einen Zwanzigmetersturz mit seinen unvermeidbaren Folgen verhindert werden kann. Georg spürt auch seine Finger nicht mehr und jetzt bereuen wir es, die erste Länge nicht am Vortag eingerichtet zu haben. Aber dies entspräche eben nicht unseren Vorstellungen einer “Rotpunktbegehung”. Wir kommen unheimlich schnell voran, im Piazriss unterm Band läuft Georg wie eine Eidechse die Wand hoch, er legt die ganze Seillänge keine einzige Sicherung, etwas unverantwortlich angesichts des schwindligen Standes an einem Haken. Am großen Band gönnen wir uns eine Pause und während Georg vergnüglich in der Sonne liegt, schiele ich ständig zum mir Bevorstehenden empor, einem bei Gott nicht einladendem Überhang. Moralisch am Ende, das Herz in der Hose, stehe ich schließlich auf der “Gognarampe”, die Alibisicherung unter diesem verfluchten, splitterigen Überhang hat ein schweres Cut in meiner Psyche hinterlassen.

Ich zittere am ganzen Körper, was sehe ich da, eine Wolke über uns. In Bergsteigerkreisen, wie ich später erfahre, als Schönwetterwolke bezeichnet, denken wir Sportkletterer jedoch nur sofort an Wettersturz. Um Himmels Willen, bloß das nicht, wir haben schon derartiges erlebt und möchten um Nichts auf dieser Welt noch einmal in ein solches Inferno von Hagelschloßen und Regentropfen geraten. Jetzt hetzen wir uns gegenseitig, wir brüllen uns an, Klemmkeile legen oder anderweitige Verzögerungen werden mit heftigsten Artikulationen unterdrückt. Jeder hat die Faust im Nacken, der Gedanke, in den spartanischen Genuss eines Wettersturzes zu kommen, lässt uns alle Schwierigkeiten vergessen, höchstens ein bis zwei Sicherungen pro Seillänge sind die Folge. Zu unserem Glück bauen wir keine Verhaue, sonst wären wir mit unserem Latein am Ende, so ganz alleine, verlassen von Gott und der Welt, verlassen von Hammer und Haken, völlig hilflos der Schwerkraft ausgeliefert. Der letzte Riss unter den Gipfelschrofen sägt noch gnadenlos die letzten Nerven durch.

Überglücklich und um zehn Jahre älter stehen wir endlich am Gipfelgrat, ein schneidender Wind bläst vom Gletscher herauf, fast hätte ich vergessen, auf die Uhr zu schauen. Es ist halb eins, unglaublich, jetzt bin ich froh, dass sich der Minutenzeiger so langsam bewegt, wir haben die schnellste Seilschafts-Begehung dieser Tour und das absolut ohne schwindeln oder kneifen, wir sind eben mit der Faust im Nacken geklettert. Die Leute bei der Seilbahn fragen uns, ob wir biwakiert haben, es dauert lange, bis alles erzählt ist. Erst als wir aus der Gondel humpeln, wegen der lädierten Zehen, können wir wieder unseren Gedanken nachhängen, um neuen Zielen Raum zu geben.

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