80 Jahre Gipfelstürmer 1911-1991

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80 Jahre Gipfelstürmer!
Hansjörg Gogl

Vor 80 Jahren, genau am 10.11.1911 wurde von 11 bergbegeisterten Innsbruckern nach jahrelanger vorheriger Bergfreundschaft der “Alpine Verein Gipfelstürmer” gegründet. Junge, verwegene Burschen, die in den Anfängen des modernen Alpinismus sich zusammengefunden hatten und für die damalige Zeit großartige Bergfahrten unternahmen. Der Gipfelstürmer-Viererseilschaft Schuster, Aichner, Netzer und Hummel gelang z. Bsp. 1914 mit der 1. Durchsteigung der Riepen NW-Wand eine Kletterfahrt, die zu einem Meilenstein im Tiroler Bergsteigen wurde¸ gab es doch damals außer der Herzog-Fiechtl im Schüsselkar und der Dülfer-Westwand am Totenkirchl kaum einen ähnlich kühnen Felsgang in Tirol. Für die damalige Zeit eine wohl große Leistung. Man muss auch bedenken, dass der Anmarsch zu den diversen Touren allein oft ein bis zwei Tage in Anspruch nahm, kaum vorstellbar für die heutige, übermotorisierte Zeit, wo man auch mal schnell für einen Nachmittag in die Sella fährt oder für einen Tag nach Arco rast.

Alpinistisch hat sich in diesen 80 Jahren sehr viel getan. Erinnert man sich doch daran, dass es für die 1. Begehung der Matterhorn-Nordwand eine Olympische Medaille gab, oder für die Bezwingung der Eiger-Nordwand Radiostationen tagelang berichteten, so finden Begehungen dieser Touren heute kaum noch eine Beachtung. Auch beim Sportklettern, das sich zu einer eigenen Sparte des Bergsteigens entwickelt hat, sind Kletterpassagen im achten und neunten Grad keine Besonderheit mehr.

Besonders erfreulich, dass gerade bei uns im Klub der hohe Leistungsstandard gehalten wurde und Gipfelstürmer immer wieder mit besonderen Leistungen aufhorchen lassen. Der Grund dafür liegt wohl darin, dass sich Jung und Alt bei uns sehr gut verstehen und ergänzen und sich gegenseitig zu Spitzenleistungen anspornen. Kostproben davon hat man ja auf den folgenden Seiten zu lesen.

Patagonien Träume und Wirklichkeit!
von Thommy Bonapace

Immer wieder hört man von diesen gelb-braunen Hinkelsteinen, die zum Teil mit mächtigen Eiskronen bestückt sind. Sie liegen am südlichen Ausläufer der Anden, an der chilenisch-argentinischen Grenze zwischen Pampa und Inlandils – in Patagonien. Trotz ihrer Modeerscheinung in der Bergsteigerwelt bieten sie eine unheimliche Auswahl an Erstbegehungsmöglichkeiten, Wiederholungen namhafter Routen in den verschiedensten Dimensionen, bei extrem wechselnden Verhältnissen.

Auch die Trekkinggeneration hat dieses Gebiet, mit seinen einzigartigen Naturschauspielen an unberührten Wäldern und Tälern sowie Fauna und Flora, für sich entdeckt. Leider muss man feststellen, dass diese Gruppen bereits die große Masse darstellen und nicht die Bergsteiger, wie man annimmt. Somit wären wir wieder einmal bei dem Problem angelangt; der Mensch im Umgang mit der Natur. Ein dort ansässiger Parkranger sorgt für Ordnung und Auskünfte. Die Einschränkungen für ein Naturschutzgebiet sind sehr gering und jeder Einzelne muss seinen Beitrag dazu leisten, um die Schönheit bestmöglich zu erhalten.

Auch die Indianer suchten diesen Ort auf, um ihre Sorgen zurückzulassen, sie wussten von den Energien die dort aufeinander stießen. Den Fitz Roy betrachten sie als einen Vulkan und benannten ihn auch danach – “Chalten”. Er trägt oft eine nach Nordosten ziehende Wolkenfahne, die an die Rauchschwaden eines Vulkans erinnert. Auch dem Dorf, das dort vor 4 Jahren aus dem Boden wuchs gab man den Namen Chalten. Es wurde erbaut, um den Grenzproblemen mit Chile Herr zu werden, und man besiedelte es mit Argentiniern. Die Bewohner, die damals noch vom Staat bezahlt wurden um dort leben zu können, verdienen heute durch Trekkingführungen, Gepäckstransporte zu Pferde oder mit einer Hosteria (Gaststätte) meist selbst ihr Geld.

Wie anfangs erwähnt, das Inlandeis an der westlichen Begrenzung dieser Granitnadeln, zählt in seiner Eigenart auch zu den Topabenteuern in diesem Gebiet. Es wird in das Nördliche und Südliche Patagonische Eis unterteilt. Das Südliche erstreckt sich in einer Länge von 330 km und einer Breite von 80 km, in einer durchschnittlichen Meereshöhe von 1.500 m (Nördliche 100 X 45 km). Die Durchquerungen dieser kann man in mancher Hinsicht mit den Forschungsreisen in den Polargebieten vergleichen – schreibt Buscaini. Für mich vermittelte es immer wieder einen Blick in eine andere, unerforschte Weit, eine Traumwelt in weiß oder gar im letzten Abendrot. Die Bergkette des Cerro Torre und Fitz Roy bilden einen richtigen Schutzschild und niemand ahnt, was sich dahinter verbirgt. Um dieses Schauspiel sehen zu können – beeindruckender als jedes Kino – muss man auf einem Pass, einer Scharte oder besser auf einem Gipfel stehen. Patagonien – es wehrt sich mit aller Gewalt jedem Eindringling, der es wagt seinen Fuß in unberührte Wälder und Moränen zu setzen, oder Hand an den Granit der Götter zu legen, um sie zu ersteigen. Nur wenigen ist es vergönnt, in diese Welt einzudringen um einen Traum zu erfüllen. Die gefürchteten patagonischen Winde entscheiden darüber, ob die Schlechtwetterfalle wieder zuschlägt oder nicht.

LAGERLEBEN! Unser Lager ist wirklich ein kleines Paradies. Mit dem Zelt und einer Hütte stehen wir in einem starkwüchsigem Buchenwald. Die Bäume sind nicht sehr hoch, aber zäh und durch den Wind und das raue Klima geprägt. Wenige Meter nur, dann kommt man an eine Waldlichtung, die sich in den steinigen Moränenkratern verläuft. Sie stauen die Wassermassen des Torre-Sees, hinter dem sich riesige Gletscher zu Tal schieben. Kein menschliches Auge kann die Dimensionen dort oben erfassen, so nahe und klein wirken die Gipfel, Grate und Wände. Man muss seine eigene Kraft dazu eingesetzt haben, um dort auf dieser Schulter, diesem weißen , pilzähnlichen Gipfelaufbau gestanden zu sein. Dann, aber nur vielleicht, kann man die Kilometer, die sich horizontal ins Endlose verlieren und vertikal in den Himmel spießen, erkennen.

Das Dreigestirn Torre-Egger-Standhardt wird von zarten, gazellenartigen Wolkenfetzen, die vom patagonischen Eis scharenweise herüberhüpfen, umzingelt. Man kann es erahnen, was sich innerhalb kürzester Zeit hier abspielt. Ein Windsturm versetzt das ganze Tal in Schrecken, er reißt Bäume nieder und eine Staubspirale mit Sand vermischt, peitscht von den Moränenhängen über das Tal hinweg. Die Hütte, deren Eckpfeiler aus lebenden Baumstämmen besteht, erfüllt ein ständiges quietschen und knarren. Durch die Pfeiler, die mit ihren Kronen weit in den Himmel ragen, werden die Windböen auf die trockenen Balken übertragen. Das ist die Musik, die wir täglich ins Lager gesendet bekommen – der böige Wind und das Knarren und Quietschen der Balken. Es gibt keine Neuigkeiten von der Außenwelt, nur durch Briefe und Besucher.

Man hat fast alles was das Herz begehrt. Das offene Feuer in der Hütte, spendet einem die nötige Wärme und stundenlange Diskussionen, sowie Gespräche aller Art werden bis spät in die Morgenstunden geführt. Es kommt nicht selten vor, dass man um die Mittagszeit oder in den frühen Nachmittagsstunden erwacht und sein Zelt und den warmen Schlafsack verlässt. Es werden Bücher gelesen, Gedanken und Briefe niedergeschrieben, als auch die umfangreichen Lagerarbeiten, wie Brennholz machen, Geschirr abwaschen und Ausbesserungsarbeiten an der Hütte verrichtet. Zu den höchstrangigen gehört das Kochen und Backen am offenen Feuer, da der Magen immer Hunger verspürt. In den verschiedensten Variationen und Geschmacksrichtungen wird mit einer geringen Auswahl an Lebensmitteln experimentiert, auch Brot und Kuchen wird gebacken. Ist man vom Alltäglichen übersättigt, flüchtet man durch die Wälder und über Moränen an seinen Lieblingsplatz; inhaliert und beobachtet die Natur in ihrer Vielfalt an Farben, Formen und Bewegungen und lässt seinen Gedanken grenzenlose Freiheit.

EGGER-ROUTE! Ein überhängender Kamin, der durch Sonneneinstrahlung wasserüberronnen war, versperrte den Weiterweg. An seiner Linken, inmitten einer senkrechten Granitplatte führte wie durch ein Kreissägeblatt eingenutet, ein dünner Riss. Er war technisch mit Keilen gut kletterbar und endete im Nichts. Nach rechts leiteten vier Bohrhaken in den vereisten Kamin zurück, sie mussten von Egger und Maestri stammen. Mit den Steigeisen stieg ich in ihm, in gefinkelten Mixedclimb höher und erreichte etwas links ein schmales, abschüssiges Band, wo zwei Profilhaken steckten. Sie waren, wie man sehen konnte, durch Wasser und Kälte sehr hergenommen und man konnte sie mit den Fingern herausziehen. Toni stieg in den geneigter werdenden – mit Eis und Fels durchsetzten – Kamin zurück. Plötzlich, als er an der breitesten Stelle angelangt war, begann es zu zischen. Eine Lawine kam direkt auf ihn zu und fegte über ihn hinweg. Sie bahnte sich rechts von mir in der Senkrechten den Weg in die Tiefe. Über Tonis Schultern bildete sich ein Schneekeil, da rieselte viel Schnee durch Ärmel und Kragen. Wildes Fluchen ertönte von oben; mich schüttelte es an meinem sonnigen Standplatz allein bei dem Gedanke daran. Es war wieder eine dieser vielen zeitraubenden Längen mit dem schweren Haul-Bag angesagt, ein ziehen und zerren, verhängen und verkeilen. Von nun an brausten immer wieder Lawinen rechts von mir und teilweise genau auf Tonis Sicherungsplatz hinunter. Sie waren in ihrem Ausmaß nicht unbedingt gefährlich, doch durch Nässe und Kälte als auch nervlich wurden sie zur Qual. Durch eine Kaminschlucht führte die Originalroute und war durchgehend mit Eisriesel bedroht. Wir kletterten eine Umgehungsvariante und gelangten am Ende dieser zu einem dürftigen Biwakplätzchen. Mit viel Verstauungsphantasie gelang es uns den Kocher aus dem untersten Viertel des Sackes zu bringen. Wir kochten sehr mühsam stehend und mussten den Gaskocher sowie das Kochgeschirr mit dünnen Reepschnüren absichern, um nicht das Risiko einzugehen, eines dieser wertvollen Stücke in die Tiefe zu stoßen. Es folgte eine lange kalte Nacht an einem der unmöglichsten Plätze, halb sitzend, halb hängend.

Durch einen Quergang gelangten wir in die Originalroute zum 2. Schneefeld zurück. Es erwies sich als ein idealer Schneespeicher für Lawinen und bildet einen gefährlichen Trichter in den Schluchtkamin hinunter. Jetzt konnten wir uns auch den starken Eisriesel vom Vortag erklären, wo wir über unsere Variante auswichen. Über uns hing der hausgroße Gipfelpilz, meterdicke Eismatratzen klebten wie Balkone an senkrechten Granitplatten. Sie speisten förmlich das Schneefeld und somit den Schluchtkamin mit Eisschollen und manchmal etwas größeren Kalibern. Wir erreichten den obersten rechten Pfeiler, wo der Quergang in die Schlucht ansetzt. Sie wird von Torre und Torre-Egger gebildet und zu ihrer Linken unter der ca. 800 m hohen, glatten N-Wand verläuft eine schmale Rampe. Sie ist mit Eis und Schnee durchsetzt, die einzige Möglichkeit auf das Col der Eroberung, wie es Maestri taufte, zu gelangen. Dass sie den Eispilzen ganz besonders ausgeliefert ist , liegt auf der Hand. Bei den Quergängen in die Rampe und aus dieser mussten Seile für einen Rückzug angebracht werden. Uns wurde bewusst, in was für eine Mausefalle wir dort weiterstiegen. Eine Mausefalle, wie sie unseren nagewütigen Mitbewohnern im Lager zustehen würde, und nicht uns kopflosen Wandläusen am Torre.

Wir fühlten wie auf dem Gipfel zu stehen, als uns das Inlandeis in seiner endlosen Eisfläche zu Füßen lag. Die Sonne stand sehr tief am Horizont und beleuchtete es im letzten Abendrot. Hinter uns die Arena des Fitz Roy, Poincenot, Innominata, Ag. St.Exupery, der vielen orangegelben Granitnadeln mit ihren Verschneidungen, Pfeilern und Schluchten. Rechts und links bäumen sich die Flanken der Torres empor, Flanken aus Eis und Fels, prächtig in ihren Farben und Formen. In den Fingern und Zehen begann es richtig zu kribbeln, wenn man dieses Schauspiel auf sich einwirken ließ. Wir standen am Col und jede Müdigkeit und alles Risiko war vergessen. Ein breites Wolkengebilde wie eine Walze bedeckte den äußersten Rand des Eises und näherte sich anfangs sehr langsam. Plötzlich erreichten uns starke Windböen, innerhalb von Minuten kam Kälte und Schnee. Auf der Leeseite unterhalb des Cols fand Toni einen Biwakplatz – groß genug um sitzend zu kochen. Die patagonischen Orgeln spielten in ihren verschiedensten Pfeiftönen, es war der Sturm der zwischen den Türmen durchbrauste und dröhnte. Bis am späten Vormittag verharrten wir im Biwak, um sicher zu gehen, dass das Schlechtwetter anhielt. Es verschlechterte sich zusehends und brachte viel Neuschnee, auch die Kälte wurde besonders in den Füßen unerträglich. Wir begannen mit dem Haul-Bag auf den Schultern und sämtlicher Schlosserei` den Rückzug ins Ungewisse. In diesem Moment war es für uns beide klar, dass dies unser letzter Versuch in dieser Route war. Jedoch, nachdem unser Magen wiederum gefüllt und unser Körper erholt und voll Energie zu zerreißen schien . . . . .

Ein alpines Friseurwochenende!
von Klaus Geiswinkler

Samstag, 25. August. Endlich war es Mittag 13 Uhr; das heißt für einen Friseur wie mich: Pack das Kletterzeug zusammen und ab ins Gemäuer. Das komische an diesem Wochenende war, dass ich nicht wie üblich höchstens ein oder zwei Partner für diese 2 1/2 Tage hatte, sondern vier; nämlich Pepi Röck, Florian Graiff, Hanjo Gogl und Peter Ohnmacht. Für diesen Nachmittag hatte ich schon mit Pepi ausgemacht, in ein mir völlig fremdes Gebiet zu fahren.

Vom Hahntennjoch gingen wir nördlich auf einen Sattel und von dort zirka 15 Minuten zum Fuß der Falscher Kogel-Nordwand. Pepi wusste bereits eine Route namens “Terrassenwanderung”, die im Führer als lohnend beschrieben wurde. Die ersten drei Längen waren wirklich schöne Platten, die immer von Bändern begrenzt wurden. Im oberen Teil legte sich das Ganze und wurde etwas brüchig. Da wir ja nicht bei irgendeinem Verein, sondern bei den Gipfelstürmern sind, liefen wir trotz eines Gewitters noch schnell auf den Gipfel, kurzer Handschlag und ab zum Auto zurück. An diesem Abend war ich nicht besonders müde und entschloss mich, noch einen “heben” zu gehen.

Sonntag, 26. August. Um 2 Uhr Früh trudelte ich zu Hause ein und fiel sofort in einen Fünfstunden-Tiefschlaf. Heute stand zum achten Mal der Bayrische Traum im Wetterstein auf dem Programm, aber sogar mein verträumter Blick sagte mir, dass er wegen Regen schon wieder ins Wasser fallen würde. Dann läutete plötzlich das Telefon und Florian erklärte mir voller Motivation, dass in Südtirol schönes Wetter sei. Kurzerhand fuhren wir in Richtung Süden; aufs Sellajoch. “Flo” hatte noch keine Ahnung, aber jetzt musste ich es ihm langsam sagen, was ich schon lange im Kopf hatte. Auf der Südseite des Piz Ciavazes, links der Route “Via Italia”, führt die recht selten begangene “Zeni-Verschneidung” empor. Nach kurzem Führerstudium stiegen wir über fast senkrechte Graspolster zum Einstieg, wo bereits zwei Kletterer herumlümmelten. Es stellte sich bald heraus, dass es zwei total verunsicherte Italiener waren, die am Vortag in dieser ersten Seillänge einen 15 Meter Sturz einer anderen Seilschaft miterlebt hatten. Mit Händen und Füßen wollte mir einer erklären, dass einige Haken jetzt fehlen und er mir bei der ersten Länge lieber zuschauen wolle. Einerseits froh, keinen vor uns zu haben, andererseits ängstlich vor dem Zustand der Route, arbeitete ich mich, mit Klemmkeilen gesichert, bis zum ersten Stand hinauf. Florian war der Fels nicht ganz geheuer und so traf es mich, alle Seillängen vorzusteigen. Endlich kam die Verschneidung, die wir in vollen Zügen genießen konnten. Im Schatten eines großen Überhangs kauerte ich nun bei meinen Friends und sicherte “Flo” nach. Als er dann bei mir am Standplatz war, konnte ich mich voll auf den Abschlussüberhang konzentrieren. Meter für Meter schwindelte ich mich hinauf bis auf einen Absatz. Dort konnte ich meine Ferse in einer Felsspalte einhängen und so meine Hände entlasten. Nachdem ich ein wenig gerastet hatte, konnte ich die letzte Wandstelle locker klettern. Ich konnte es noch gar nicht fassen, dass ich alles Rotpunkt geklettert war und empfing “Flo” mit einem Freudenschrei auf dem Gamsband.

Als wir schon eine Weile die Aussicht genossen hatten und Florians Atemfrequenz wieder langsam abnahm, schlug ich ihm vor, über die Vinatzer-Verschneidung auf den Gipfel zu steigen. Nach kurzem Protest stiegen wir die ersten leichten Längen hinauf. Da das Wetter ziemlich bedrohlich aussah, machte ich meistens überlange Seillängen und erreichten so nach 1 Std. und 20 Min. das Ciavazes-Gipfelplateau. Nachdem wir noch nie auf diesen Gipfel standen, mussten wir die erste Abseilstelle suchen, was uns aber problemlos gelang. Nach ein paar luftigen “Abseilern” standen wir wieder auf dem Gamsband und liefen sofort zum Auto hinunter. Auf der Heimfahrt schlugen wir uns den Wanst mit Nudeln im Gasthof Hubertus voll. Ankunft zu Hause war zirka 22 Uhr.

Montag, 27. August, 4 Uhr Früh. Pünktlich holten mich Peter und Hanjo zu Hause ab. Wieder fuhren wir zuerst zum Brenner und dann weiter beim Hubertus vorbei aufs Sellajoch. Dort entschieden wir, endgültig in die Marmolata zu fahren. Nach 2 Stunden Fahrzeit erreichten wir unseren Ausgangspunkt Alba. Von dort gingen wir 1 Stunde bis zum Rifugio Contrin und weiter noch einmal so lang zum Ombrettapass. Den ganzen Anstieg hatten wir drei einen Ohrwurm von Reinhard Fendrich im Kopf und so merkte ich gar nicht, dass ich von den Vortagen ganz schön müde war. Schlecht war leider nicht nur mir, sondern auch das Wetter. Alles war grau in grau und durch den Nebel konnte man von der Wand nur den untersten Teil erkennen. Trotz der Kälte und der blöden Sprüche – die wir klopften- stiegen wir um 1/2 9 in die Soldà-Fhre ein. Peter führte die ersten etwas brüchigeren Längen. Nach einem Rucksacktausch durfte ich die nächsten wunderschönen, kompakten Platten bis auf das auffallende Band – etwa in Wandmitte – vorsteigen.

Das Wetter war alles andere als beruhigend. Im Süden schien es bereits zu regnen und über uns lag fast noch die Hälfte der Wand. Trotz alledem übernahm dann Hanjo die Führung für die Kaminlängen. Je höher wir kamen, desto größer wurde die Ehrfurcht vor den Erstbegehern, die bereits im Jahre 1936 diese Route eröffneten. Nach einer kleinen Muratti-Zigarettenpause kletterte Peter die letzten schweren Stellen bis in die Kaminschlucht, die den oberen Wandteil durchzieht. Noch 50 Meter unschwieriges Gelände, dann standen wir nach fünfeinhalb Stunden Kletterzeit auf dem Gipfelplateau. Hungrig und durstig überfielen wir die kleine, bewirtschaftete Biwakschachtel, die direkt am Peniagipfel steht. Jetzt stand uns nur noch der lange Abstieg über den Westgratklettersteig, weiter der Weg über ein steiles Kar hinab zum Contrinhaus und der Fahrweg bis nach Alba bevor. So machten wir uns auf den Weg und erreichten nach 2 Stunden “abwärtslatschen” um 17 Uhr wieder unser Auto.

Hanjo nahm in seiner reinlichen Art noch ein Vollbad in einem kalten Brunnen, dann traten wir zum zweiten Mal an diesem Wochenende aus den Dolomiten die Heimreise an. Fast traditionsgemäß konsumierten wir im Hubertushof noch Wein und Nudeln und so kamen wir etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht nach Innsbruck. Noch etwa 10 Minuten ließ ich mir in Gedanken das ganze Wochenende durch den Kopf gehen, dann entschlief ich müde und glücklich in den Alltag eines Friseurs.

Die glorreichen Sieben Erstbegehungen in Alaska
von Andi Orgler

Zum 50. Mal war ich heute schon diese 3m hohe Holzwand hinauf und herunter gestiegen. “Demonstration” für Klettergeräte. Dafür zerhackte ich nun schon seit 6 Tagen ein Brett nach dem anderen und versuchte nach jedem Mal, den Herumstehenden die Vorteile meiner Eiskletterausrüstung zu erklären. Deswegen hatte mich die Firma bis nach Las Vegas geschickt. Aufmerksam verfolgten die Händler mein Tun und manch einen überzeugte die Schaustellung.

“Hey man, you did the Eiger Northface.” Es war der letzte Tag der internationalen Sportmesse, eine halbe Stunde vor dem erlösenden Ende; lachend standen 4 Kerle hinter mir, so dass es mir unmöglich war, sie zu sehen, und sie kamen bei ihrer Hochrechnung – 6 Tage je 50 Begehungen hinauf und das selbe Maß hinunter mal 3 Meter ergibt 1.800m, – auf die Höhe des besagten Alpendramatikers. Jeff Lowe, Jim Bridwell, Mugs Stump und Paul Sibley; für sie war mein Treiben beste Unterhaltung. 2 von ihnen waren die Erstbegeher der Moosestooth Ostwand, die anderen beiden hatten sie zuvor versucht, diese Riesenwand in Alaska. So war das Zusammentreffen für mich wie ein Geschenk, wollte ich doch im Sommer selbst in diese Gegend fahren. Doch alles was ich auf meine Fragen erntete, waren 4 etwas betretene Gesichter. Offensichtlich schien ihnen diese Landschaft selbst am Herz zu liegen. Einzig Mugs Stump blieb etwas länger beim Thema Alaska. Sein Leuchten in den Augen verriet mehr als alle Worte. Nach 5 Minuten eines allgemein gehaltenen Informationsgespräches zeichnete er mir noch rasch eine Skizze mit den Bergnamen auf, nicht ganz vollständig, wie ich später merkte. Doch war sie neue Nahrung für meinen Traum. Gemeinsam zogen wir 5 Kletterer noch eine Runde durch die Hallen des großen Bergdeals, bevor jeder wieder seinen Ideen nachzulaufen begann und dem Geschäft den Rücken kehrte. 6 viel zu lange Tage wurden hier die neuesten Ausrüstungsgegenstände aber auch die “Erfolge” der Klettergladiatoren einer Börse gleich gehandelt.

Monate später, – Sepp Jöchler und ich saßen in Talkeetna – Alaska, und warteten auf den Piloten Doug Geeting, den uns Mugs Stump empfohlen hatte, um ins Basislager einzufliegen, – fuhr auf der einzigen Straße, Schotter versteht sich, ein weißer Lieferwagen vor, mit der Aufschrift: “das ist kein Würstelstand”. Ein baumlanger Kleiderkasten stieg aus, kam wippenden Schrittes näher, wobei sein Haar, schulterlang im Takt mitschwang – eine Erscheinung wie der Häuptling im Film “Kuckucksnest”. Unruhe kam unter den herumlungernden Einheimischen auf, als wäre gerade E.T. gelandet. Plötzlich blieb der “Nicht Würstlstand”-Fahrer im Gegenlicht stehen. “Hey man, . . . fuck!” Ich zuckte innerlich etwas zusammen. Diese elitäre Wortkombination kam mir bekannt vor. Bevor ich ein Wort sagen konnte kam schon die Klärung: “Fuck, you´re the Stubai guy, Andi? Hey man!” Es war Mugs Stump. Nie und nimmer hatte er damit gerechnet, mich jemals hier zu treffen, und schon gar nicht Anfang Juli; weiß doch jeder, dass dann die Saison zu Ende ist. Aber was zum Teufel weiß denn schon einer, der auf Messen Holzboulder auf und ab steigt. Mugs war herzlich wie das ganze Land es ist. Sofort begann ein stundenlanges Gespräch, zum näheren Kennen lernen, zum Aushorchen der Ziele. Als ich zum besseren gegenseitigen Verständnis der Ortsangaben meine einzige Unterlage herauszog, konnte er nur lachen. Es war seine Skizze von Las Vegas. Versöhnlich schob er nun eine Landkarte über den Tisch herüber und gab uns zu alledem noch wertvolle Infos für Neulinge. Als uns 4er-Bande schließlich Doug Geeting “kalten” Norden so liebenswert macht. Hier ist das Wollen des Menschen noch ein Schlüssel zum Erfolg. Anderntags bekamen wir diese Erkenntnis am eigenen Leib zu spüren. Beim Einflug in die Kinleyrange wollten wir am Buckskinglacier landen, um eine Erstbegehung zu versuchen. Diese Rechnung wurde ohne den Wirt gemacht. Mugs hatte dasselbe für das nächste Jahr vor, und so war für seinen Freund Doug das Landen am Gletscher nicht möglich; “zu viele Lawinen”. Wir konnten zwar keine dieser Kegel erkennen, doch ein Buschpilot ist nicht zu überzeugen. Zum Trost flog uns Doug nun quer durch das ganze Gebiet, um uns einen Überblick zu geben. Vergessen war bald der Buckskin und wir landeten in Mugs “Top Secret”-Gebiet, der Ruth Gorge. Erst als sich Doug mit seinem “have fun” für die nächsten Wochen verabschiedet hatte, bemerkten wir den kalten Gletscherwind.

Wir waren auf einem anderen Planeten. Leblos, Fels und Eis. Unser Staunen nahm kein Ende. Fassungslos saßen wir herum, und ließen vorerst alles auf uns wirken. Da kam E.T . . . “That’s great man, fuck!” Auch er kam ins Staunen, obwohl er hier schon fast 10 Jahre zu Hause war. Aus diesem Grund kam er immer wieder, nicht nur der Klettereien wegen. Die verschobenen Dimensionen der Wunderwelt muss das Innere erst einmal verkraften. Gemeinsam zogen wir den Ruthgletscher hinunter. Nochmals gab Mugs seinen drei “Greenhorn”freunden, Lyle, Sepp und mir eine Gebietseinführung, dann trennten sich unsere Wege. Wir hatten unser “Problem” gefunden, er zog mit Lyle zu dem seinen, das ihn im Übrigen bis heute noch beschäftigt.

Erst beim Gehen konnten wir die Größenverhältnisse langsam begreifen. Was wie ein Halbstundenweg aussah, nahm 2 Stunden in Anspruch. Dann aber waren wir unter “unserem” Berg angelangt. Noch nie bestiegen ragte er 1.600m mit stellen Felsflanken in den Himmel. Doch vorerst wurde einmal Lager bezogen. Mitten am Gletscher, einige hundert Meter Eis unter dem Zeit, stellten wir es dem ständig wehenden Gletscherwind zum Trotz auf. Es war der einzige Ort in den nächsten 3 Wochen, der uns vor dem kalten Luftstrom schützte.

Anderntags starteten wir zu unserem ersten alaskanischen Kletterabenteuer. In leichter Alpinausrüstung begannen wir am Ostsporn des Mt. Bradley eine Seillänge herrlichen Fels nach der anderen herunterzuspulen, meist 5. und 6. Grad. Die Vormittagssonne wärmte durch ihre Strahlung alles angenehm auf. Die bedrückende Größe der Berge begann in unseren Köpfen zu schrumpfen. Eine ungeahnte Großzügigkeit der Kletterei verleitete uns dazu, die Seile nach 4 Längen aufzuschießen, und die 700 Meter Fels bis zum Pfeilerkopf nebeneinander in den Platten solo zu klettern. Doch je weiter wir an diesem 1.600m Giganten höher kamen, umso anspruchsvoller wurden die Verhältnisse. Einige Mixedstellen zwangen uns für weitere 6 Längen die Seile zu verwenden. Nach nur insgesamt 14 Stunden standen Sepp Jöchler und ich am 4. 7. 1987 als erste Menschen am Gipfel des Mt. Bradley. Schlechtwetter hielt uns die nächsten Tage gefangen. Dieses Zeltleben ist ein wichtiger Bestandteil eines Kletterurlaubs in der Ruth. Sinnieren, sein Inneres entrümpeln, Ruhe . . . Wesentliche Elemente der Vorbereitung für große Ziele in Alaska, der Gegensatz zum gestressten Mitteleuropa.

Ein unbenannter Felsturm an der Ostseite der Gorge war unser nächster Erfolg. In nur 4 Stunden kletterten wir vom Ruth-Gletscher auf diesen 600 m höher gelegenen Gipfel, unbestiegen und unbenannt, in herrlicher Genusskletterei im unteren 6. Grad. Wir tauften ihn “Hüttenturm”, vielleicht aus Sehnsucht nach einer solchen, bei den wochenlangen Schlechtwetterphasen.

Nicht immer kann man in dieser Gegend Versuche auch erfolgreich beenden, sofern man darunter den Durchstieg einer Wand sieht. Brüchiger Fels, grasige Risse, Unvermögen oder vor allem Schlechtwetter kann die schönsten Pläne zerstören. Unser Versuch in der unerstiegenen Barrill Ostwand scheiterte nach 17 Längen in einem der grausamsten Stürme, die ich dort erlebte. Damals mutierte der Begriff “Erfolg” in meinem Inneren zum “Verlassen” einer Wand; sei es oben, oder wenn es sein muss unten. 2 Routen und 3 Versuche gemeinsam mit Sepp Jöchler lehrten uns viel über die Ruth.

1988 kam ich wieder; diesmal mit Tommi Bonapace. Die Vorbereitung war durch die Erkenntnisse von 87 um einiges effizienter ausgefallen. Einen Tag nach dem Einfliegen stiegen wir sofort in die Ostwand des Mt. Barrill ein. Zweieinhalb Tage kletterten wir in einem 800 m hohen senkrechten System aus Rissen, Verschneidungen und Überhängen. Schöner Granit mit Schwierigkeiten bis 7 und kurzen Technostellen bis A3 waren die Zutaten zu einer meiner schönsten Erstbegehungen. Nach ein paar Ruhetagen war es dann soweit. Öfters war er schon versucht worden, auch von uns 1987, ohne Erfolg. Der Unterschied zwischen Wollen und Wirklichkeit – eine Meile senkrechter Granit. Die Rede ist vom Felspfeiler der “Weinflasche” an der Ostwand des Mt. Dickey, der größten Felswand Alaskas. Dieses Jahr war ich überzeugt von der Kletterbarkeit der Linie. Zuerst legten wir noch zaghaft Hand an den Fels der Flasche, die uns in ihrer Mächtigkeit zu erschlagen drohte. Als wir jedoch in freier Kletterei bis 7+ weit hinauf in den ersten Aufschwung kamen, stieg die Zuversicht von Meter zu Meter. Einen Tag später folgte der endgültige Einstieg. 6 Tage lang kletterten wir dann teilweise an der psychischen Grenze – die Gesamtbelastung war es, die manchmal am Schuh drückte, – in konsequenter Wechselführung 51 schwere Seillängen. 51 Mal das selbe Spiel in der Big-Wall-Technik: der erste klettert mit Keilen und Haken wie ein Christbaum behangen 50 Meter in den Himmel, um dann, am Stand angelangt, den “45 Kg-Haulbag” mittels Flaschenzug hochzuhieven, während der Zweite nachjümarend die Risse wieder von den Kellen und Haken befreit. Mit vertauschten Rollen geht’s dann weiter in die nächste Portion Fels. Unerlässlich ist dieser 3. “Mann”. Er ist die Wundertüte, die am Abend die Schlafsäcke spuckt, bei Durchnässung Ersatzbekleidung schenkt, die Verpflegung liefert, und auch das “Aussitzen” einer Schlechtwetterphase in der Wand ermöglicht. Würde man beim ersten Schlechtwettereinbruch schon abseilen müssen, man würde nie den Gipfel sehen. Wir kletterten ohne Fixseile, und so beginnt jeder Versuch zwangsläufig wieder bei Null, am Gletscherboden. Dies sind die kleinen aber feinen Unterschiede bei der Stilfrage. 5 Mal biwakierten wir in der Riesenwand, mehrmals wurden wir geduscht, sei´s durch Regenschauer oder durch einen 2 Seillängen langen Wasserfallkamin, relativ wenig Technokletterei, dafür aber bis A3+, und herrliche unzählige Längen in Rissen, Wandstellen und Verschneidungen; das alles lag hinter uns, als wir am 15. 7. 1988 um 8 Uhr abends, bei strahlendem Sonnenschein am Gipfel des Mt. Dickey standen.

Tage des wunschlosen Glücks folgten. Diese Tage gehören für mich mit zu den schönsten bei den Alaskaabenteuern. Schlaf, nur zum Essen unterbrochen, etwas Lesen, Musik hören und schweben . . . .

1990 kamen dann Heli Neswadba und Hannes Arch durch unsere Erzählungen auf die Idee, einen Klettersommer in der Ruth zu verbringen. Kräftig hatten sie zuvor im Yosemite umgerührt, mit beeindruckend schnellen Zeiten in den EI Cap Größen “Salathe”, “Nose” und “Zodiac”. “Wessen Herz voll ist, dessen Mund geht über.” Trotz Warnungen erzählten sie von ihren Alaskaplänen, ohne die Auswirkungen dieser Info an den Klettergeheimdienst E.T.”abzuschätzen. So staunten sie, als sie Mugs’ Dauerproblem anzugehen gedachten, doch der Guru selbst schon im Pfeiler hing. Diesmal konnte ihn nur noch schlechtester Fels in der Gipfelregion und eine Handvoll Hochgewitter vom Erreichen des Gipfels abhalten. So war es dann an Helis’ und Hannes’ Reihe, das Problem zu lösen. Doch Alaskabruch kennt keinen Unterschied zwischen den Nationen, und so diente ihnen diese erste Berührung als zusätzliche Motivation für das folgende. Ein unbestiegener Berg an der Ostseite der Ruth wurde zu ihrem nächsten Ziel. In einem Tag gelang ihnen die Erstbesteigung des “Balrog” über die Westflanke – schöner Fels bis zum oberen 5. Grad, meist 3 und 4, und das Ganze noch teilweise mit Schnee garniert – und am selben Tag noch der Abstieg über die Nordseite. Es half ihnen sehr, die Dimensionen zu begreifen. Nur 3 Tage später zogen sie zum nächsten Abenteuer aus. Einen kleinen Tip machten sie zu einer großartigen Tour. 21 Seillängen bis zum oberen 8. Grad mit kurzen technischen Stellen A2 legten sie in 2 Tagen an diesem 1.000 m hohen Pfeiler, Mt. London. Am 17. und 18. 7. 1990 tobten sich diese zwei Spitzenkletterer an dieser Felssäule aus, und legten all ihr Können in die schwere Route. Dem Leuchten ihrer Augen zufolge, als sie ins Basislager zurückkehrten, muss es eine Genusskletterei sein. Auch Mike Rutter und ich betätigten uns 1990 an diesem Berg, einen Pfeiler weiter, ebenfalls an der Wonneseite der Ruth gelegen. Während die Ostseite der Ruth die Sonne nur so überschwemmte, herrschten auf der Westseite in der Weinflasche, am Barrill und am Bradley ernstere, nahezu unmögliche Verhältnisse im 90-er Jahr. So gelang uns am Werwolf dessen Westpfeiler, mit 20 Seillängen bis zum 7. Grad und eineinhalb Technolängen Al am, 14. 7. . . . All diese 7 Routen haben eines gemeinsam: Sie sind ohne das Schlagen von Bohrhaken erstbegangen worden, ohne Fixseile, und so weit wie für uns möglich frei geklettert: und sie haben uns glücklich gemacht. Sie wurden zu Erinnerungen, die Hoffnung auf neue Erlebnisse wachsen lassen. Der Traum “Alaska” hat für mich noch lange nicht sein Ende gefunden. Vielleicht ist die Ruth kein Yosemite des Nordens. Doch eines ist und wird sie immer bleiben: ein Geheimnis, das man nie wirklich entdecken kann.

Klettergartenerlebnisse Höttinger Steinbruch 1966 – 1973
von Reinhard Schiestl

Höttinger SteinbruchJetzt wollten wir auch einmal im Klettergarten kraxeln, so richtig trainieren und zeigen wie wir beinand waren. Ich wusste ja nicht, wie so ein Klettergarten aussieht, deshalb packten wir Seil, Karabiner und Haken in die Rucksäcke und fuhren mit dem Moped Richtung Hungerburg. Ehrlich gesagt, mir rutschte das Herz etwas tiefer, als ich diesen 40 m hohen Felsen sah und meine bisherigen Klettertouren wie Brandjoch Südgrat, Frau Hitt und Hohe Warte Südgrat schienen mir ein erbärmlicher Vergleich gegen diese überhängende Mauer.

Da also sollten wir hinauf! Doch Werner tat alles leichthin ab, band mich an unser 30 m Seil, gab mir einige Haken und Karabiner und schickte mich in die 40 m Wand, in der schon nach 10 m ein ziemlich großes Dach herausragte. Irgendwie störte es mich, als ein Kletterer, der gerade trainierte, sofort neugierig herangekraxelt kam, um mich mit etlichen Ratschlägen nervös zu machen. Als er jedoch sah, wie ich mich schon bis zum ersten Bandl richtig plagte, gingen seine guten Ratschläge sofort in Kritik über. Schlauerweise meinte er, ich solle lieber Quergänge üben, als gleich beim ersten Kletterversuch herunterzupurzeln. Das war zwar sehr einleuchtend, doch wie soll man Quergänge üben, wenn man schon nach wenigen Metern scheitert? Wir hatten für heute genug und fuhren heim, jedoch mit dem grimmigen Entschluss wiederzukommen. Aber davor mussten wir noch einige Male üben, am besten dann, wenn am Steinbruch kein so ein Hansl wie heute war.

Steirer-Kurzflug VIII+Nun, beim nächsten Mal wollten wir Quergänge versuchen und an einem viel versprechenden Tag fuhren wir wieder hinauf. Sehr unangenehm, dass die vielgewünschte Einsamkeit bei diesen Menschenmassen nicht gegeben war. Aber man soll sich nicht schrecken lassen, und so fingen wir gleich mit dem Training an. Ein unwahrscheinlich schlauer Einfall durchzuckte mein Hirn. Wie wär’s, wenn wir unser Seil durch jeden der vielen einbetonierten Haken fädeln würden, nur so zur Erleichterung des Quergangs. Reger Beifall meines Bruders, Gesichter, die schließen ließen dass man uns nicht für voll nahm, bei den Kletterern. Endlich war das Werk vollbracht! Doch die Dauer des Durchfädelns hatte Dämmerung zur Folge und wir mussten unter großen Mühen das Werk wieder abbauen. Eine schöne Pleite! Quergänge waren nichts für uns. Beim nächsten Mal blieb also nur mehr das Abseilen übrig.

Ausgerüstet mit zwei 40 m Seilen und einem 30 m Seil zum Sichern marschierten wir am Steinbruch ein um eine Abseilshow zu vollziehen. Hinein in den Karabinersitz und ab die Post! Wie der Blitz sauste ich hinab, wobei beim Seil graue Rauchwolken aufstiegen. Kaum hatten sich die Rauchschwaden verzogen, sah man auch schon die verbrannten Spuren am Seil und ein mittelgroßes Loch in meinem neuen Pullover. Das Eindruckschinden bei den Kletterern hatte also die falsche Wirkung, abgesehen davon, dass der Materialverschleiß sehr groß war. Mein Bruder war zwar beim Abseilen klüger, aber da ihn der Rucksack, voll mit Schlosserei, gestört hatte, warf er ihn einfach hinunter. Ungeheuerlich die Wirkung der Schwerkraft! Jedenfalls war der Rucksack nicht mehr verwendungsfähig und die Schlosserei musste mühsam aus dem Boden gezogen werden. Anscheinend waren wir schon bekannt geworden, denn es griff sich kein Kletterer auf die Stirn, nur ein, zwei von ihnen murmelten etwas wie “schad ums schöne Zeug” oder so ähnlich.

Doch wir versuchten uns zu bessern und probierten wieder die Kletterei am Seil. Diesmal waren wir zu dritt und begnügten uns mit dem 20 m-Wandl ganz rechts. Zuerst Willi, doch unter den schadenfrohen Blicken der Anwesenden musste er umkehren. Jetzt probierte auch ich es und kam tatsächlich bis zur Hälfte, wo ich einen langen Haken etwa 2 cm in ein brüchiges Risschen schlug. Geradeaus war nichts zu wollen, also musste es weiter links gehen. Doch unter den jetzt eher sorgenvollen Aufforderungen nichts zu wagen, gab ich mich geschlagen, querte wieder zum Haken zurück und ließ mich daran hinunter. Auch Werner ging es nicht besser und wir kletterten inzwischen ein bisschen unten herum. Nun hatte ich endlich etwas Neues geschafft, den Riss zwischen “Südtirol” – und “Buhlwandl”, allerdings mit Hilfe des einbetonierten Hakens. Sofort wollte ich sehen ob auch meine Brüder dem gewachsen wären, Willi band sich ans Seil, welches noch immer durch den von mir geschlagenen Haken lief, und kraxelte los. Als er den einbetonierten Haken anfassen wollte, sagte ich scheinheilig, dass das nicht erlaubt sei, was trotz aller Anstrengungen meines Bruders seinen Sturz zur Folge hatte. Mein Haken machte nicht einmal den Versuch zu halten, sondern rasselte das Seil entlang recht schmerzhaft auf die Finger von Werner, der sicherte. Im Übrigen hatte ich das Gefühl, dass wir uns irgendwie lächerlich gemacht hatten, obwohl sich die Bergsteiger diesmal gar nicht mehr äußerten.

Zum Glück kam der Winter dazwischen und ich hoffte sehnlichst, mich übers Jahr soweit zu verändern, dass man mich nicht mehr erkannte, was mir auch einigermaßen gelungen ist. Dennoch dauerte es noch Jahre, bis ich mir vornahm, regelmäßig und intensiv zu trainieren, um endlich halbwegs vor die Augen der Kletterer am Steinbruch treten zu können.

Wieder einmal war ich gerade im Training, als ich mir beinahe die Augen auskugelte. Da klettert einer seelenruhig das 20 m-Wandl seilfrei hinauf, um 5 Min. später wie ein Wahnsinniger den Quergang hin- und herzulaufen. Mein langsam wiederkommendes Selbstbewusstsein war am Tiefpunkt angelangt, für diesmal hatte ich genug. Zu Hause erzählte ich von Wahnsinnigen, die dort oben frei herumlaufen, träumte aber, selbst einmal so klettern zu können. Erst zwei Jahre später war ich fast jeden Tag am Steinbruch und hatte auch Erfolge. Beinahe jeden Tag gelang mir ein neues Wandl, bis mich jemand anders belehrte. “Dös isch nix. Quergäng muascht klettern, aber am bescht’n in unter’n. (50 cm über dem Boden) Da hat nit amol da Buhl in ganz’n zammbracht.” Das reizte. Ich übte nur mehr Quergänge, kam aber bald zum Schluss, dass sich entweder mein Ratgeber irrte, oder der Buhl gar nicht so gut war. Kam doch ich schon bis zur Hälfte. Also versuchte ich nicht mehr Buhl nachzueifern, sondern übte wieder auf den kleinen Wandln, bis ich fast überall hinaufkam.

Doch auch der Quergang reizte mich und bald schaffte ich den ganzen einmal. Nun sahen mich die SteinbruchkraxIer schon etwas anders an und sie hatten wahrscheinlich meine ersten Kletterübungen schon vergessen. Endlich konnte ich ohne lächerlich befunden zu werden trainieren gehen, aber anscheinend werden alle Neulinge etwas abwertend betrachtet, wenn sie nicht sofort eine rasante Klettershow vorführen. Schließlich wurde ich sogar in die Jungmannschaft eingeladen, was ich als Folge meiner Kletterei am Steinbruch betrachte. Jedenfalls steigerte ich meine Quergänge auf 11 oder gar 13 ohne Unterbrechung und durch die Steinbruchkletterei bin ich eigentlich erst so richtig zum Klettern gekommen. Auch habe ich dort viele Kameraden kennen gelernt und ohne Klettergarten hätte ich bestimmt nicht jene Touren unternehmen können, die ich gemacht habe. Der Steinbruch war meine Kletterschule und ich steige jetzt selber manchmal seilfrei das 20 m-Wandl hinauf oder stehe Neulingen mit “guten Ratschlägen” bei.

Wal(t)ker!
von Peter Ohnmacht

1. Versuch: Ich klemme allen Naturwidrigkeiten zum Trotz in einem Riss an der Petit Jorasses Westwand. Hansjörg und ich sind die erste Seilschaft in diesem Jahr und es erübrigt sich die Frage warum. Die ganze Wand ist vereist und aus der vermeintlichen Genusskletterei wird schottisches mixed climbing. Der einzige Pluspunkt beim ganzen Geschehen ist das herrliche und stabile Wetter. Hinter meinem Rücken bäumt sich der Walker-Pfeiler an der Grandes Jorasses auf und ich frage mich, warum ich nur hier in der Petit Jorasses um mein Leben kämpfe. Das Abenteuer an der Petit Jorasses fand einen für alle Beteiligten angenehmen Ausklang. Wir haben die Wand im Naturzustand und unverletzt verlassen. Im letzten Tageslicht erreichten wir nach zahllosen Abseilmanövern die Biwakschachtel auf der italienischen Seite. Der weitere Abstieg und die Rückkehr nach Chamonix war kein Problem mehr.

Diese Kletterfahrt bzw. der Walker warfen ihren Schatten bereits voraus. Als junger Kletterer bin ich in die Arme von Walter Spitzenstätter geraten. Walter ist bekannt dafür, dass er ohne Kompromisse alpinistische Ziele verfolgt und versucht, in der kollektivvertraglichen Normalurlaubszeit möglichst alle großen Wände der Erde zu bezwingen. Jede Bergfahrt wird mit einer fast strategischen Planung ummantelt, wobei ihm seine Erfolge und die außerordentliche Leistungsfähigkeit Recht geben. Damals war für mich als Studenten eine neue Dimension des Alpinismus aufgetan. Bisher spielte Zeit keine Rolle und auch die Planung erfolgte so nebenbei. Nunmehr jagte man von einem Berg zum anderen und das mit mehr oder weniger “großen” Erfolgen. Zusätzlich spielte im Denken Walters der Walker-Pfeiler eine tragende Rolle und ohne Besteigung desselben wollte er das Pausebuch nicht aus der Hand legen.

2. Versuch: Walter und ich waren für die Westalpen, sprich Walker verabredet. Nachdem die Meteo in Chamonix unsicheres Wetter vorhersagt, fahren wir vorerst in die Dolomiten und klettern über den Micheluzzi-Pfeiler auf die Marmolada. Es war eine herrliche Kletterei und auf Grund der einmalig günstigen Wandbedingungen blieb uns beim berüchtigten Klemmblock sogar die sonst obligatorische “Vollwäsche” erspart. Wir sind am frühen Nachmittag schon wieder bei unserem Auto in Canazei und fahren weiter zum Gardasee, wo die Söhne von Walter mit dem eigenen Motorboot auf Urlaub sind. Am Abend bleibt dann sogar die Zeit zum Wasserschifahren am Gardasee. Unter der Devise, kein ‘ Tag darf unnütz verstreichen, befinden wir uns am nächsten Abend auf einer Biwakschachtel auf der italienischen Montblanc-Seite.

Wir wollen als Überbrückungsprogramm den Südgrat der Aiguille Noire erklettern. Wir haben dies dann auch mit Hilfe eines zeitweise zum Einsatz kommenden Halbseiles und Turnschuhen getan. Wieder war uns das Wetter hold und auch die Verhältnisse waren optimal. Es sei allerdings der Vollständigkeit halber festgestellt, dass nur die Mithilfe einer unbekannten Seilschaft und deren Seil uns die Rückkehr in schnee- und eisfreie Regionen ermöglichte. Mit unserem 50 m Seil wären wir ohne große Verluste beim besten Willen nicht über die Eisfelder am Wandfuß hinuntergekommen. So gut es mit der Marmolada und der Noire begonnen hat, so rasch endete die Fahrt im Hinblick auf das sich verschlechternde Wetter und wir kehrten heim nach Innsbruck.

3. Versuch: Um 2 Uhr morgens starten wir von Innsbruck in Richtung Chamonix. Im Hinblick auf die Fahrweise von Walter landen wir dort in unfassbarer Zeit und ich frage mich, wo ich nach all dem Reisestress noch die Nerven für ein alpines Unternehmen hernehmen soll. Wir packen unsere Rucksäcke, wohlgewarnt von Otti, der ohne Verpflegung auf den Bandes Neige saß, dass nichts vergessen werden darf. Die Bahn bringt uns hinauf nach Montenvers. Die Gletscherwelt nimmt uns auf und der lange Weg zur Leschaux-Hütte lässt in uns eine Ruhe und Besinnung einkehren, welche mit einer solchen Bergfahrt wohl verbunden sein muss. Die Meteo in Chamonix verspricht bis übermorgen Mittag gutes Wetter. Dann soll ein Tiefdruckgebiet heranziehen. Die Wandverhältnisse scheinen nach dem Studium mit dem Touristenfernrohr in Montenvers gut zu sein.

Walter war schon einige Male hier, allerdings mit wenig Glück. Einmal war das Wetter schlecht, ein anderes Mal der Partner nicht in Form etc. Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung konnte es diesmal eigentlich auch nicht klappen. Nachdem solche Bergfahrten zumeist in den Wurzeln, somit vor dem ersten Handanlegen scheitern, zog ich voll Zuversicht, nicht einsteigen zu müssen, mit Walter los. Ein abendliches und ordentliches Gewitter auf Leschaux trug wesentlich zu meiner Beruhigung bei, da ich mich in meinen Träumen den Gletscher wieder hinauswandern sah. Am Morgen bzw. um 2 Uhr war es dann allerdings wolkenlos und so nahm das Schicksal seinen Lauf.

In karger Morgendämmerung kletterten wir seilfrei die Einstiegsfelsen in Richtung Rebuffat-Riss hinauf. Es ist eine gefährliche Kletterei, teilweise Eis, teilweise Fels machen ein steigeisenloses Balancieren auf herausstehenden Felsköpfen notwendig. Nach einigem Zureden konnte ich Walter als Experten für solch sportkletterfeindliches Gelände überzeugen, doch unsere Seile auszupacken. Wir sind wiederum nur mit einem einzigen “Ultralight”-Halbseil unterwegs. Für einen Rückzug ist eine 5 mm Reepschnur vorgesehen, welche uns eine volle Abseillänge von 50 m ermöglichen sollte.

Bei einer Pfeilerhöhe von 1.200 m ist es schwierig, sich einzelner Seillängen zu entsinnen. Man ist in der Klettere! so konzentriert und angestrengt, dass man kaum den Höhengewinn oder die Umgebung wahrnimmt. Die Verhältnisse sind einmalig. Nur zweimal müssen wir die Steigeisen anziehen, ansonsten sind alle Kletterstellen eisfrei. Auch die Temperatur ist angenehm. In 4.200 m Höhe, somit kurz unter dem Gipfel und trotz möglichen Ausstiegs am gleichen Tag, beschließen wir zu biwakieren. Das Wetter war bis zum späten Vormittag ganz gut, am Nachmittag zog allerdings starker Nebel auf und ein Umschwung kündigte sich an. In der Nacht blitzte und donnerte es bereits an den Drus und es war nur eine Frage der Zeit, dass die Wetterfront zu uns kam. Es war eine stürmische Nacht und die Gedanken an Reinhard und Egon, welche nicht weit von hier im Wettersturz fast ihr Leben verloren hätten, liegt drückend über uns.

Beim ersten Tageslicht ist alles in milchigen Nebel getaucht und Sturmböen fegen um die Pfeilerkante. Der Fels ist vereist. Es ist zu wenig Eis für die Steigeisen und zu viel für jegliche Reibung. Ich dränge auf einen raschen Aufbruch, um nicht in dieser Hölle festzufrieren. Ein vereister Riss folgt dem anderen und die Verhältnisse treiben uns fast zur Verzweiflung. Im Sturm fehlt jeglicher Sichtkontakt zum Partner und die Wartezeiten an den Standplätzen lassen uns auskälten. Eine drückende Unsicherheit lastet auf uns. Wir können die Distanz bis zum Gipfel nicht mehr abschätzen und ein vereister Riss oder eine zeitraubende Kletterstelle könnte uns zu einem weiteren Biwak zwingen. Ich klettere eine vereiste Rinne hinauf und sehe nur mehr eine Schneewächte über mir. Das muss der Gipfel sein. Ich hole Walter nach und lasse ihm den Vortritt. Er durchbricht die Gipfelwächte und steht nach langem Streben auf der Grandes Jorasses.

“Auf diesem Gipfel weint man, weil ein langersehnter Wunsch in Erfüllung gegangen ist” – Andre Contamine.

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