Pik Lenin
Von 18.7. – 9.8.1995 nahmen:
Walter Spitzenstätter, Klaus Brandmaier, Hans Penz, Silvia und Much Leuprecht, Günther Jakubetz und Franz Müller an der über den ÖSG Reisedienst organisierten Pamir-Reise mit dem Ziel Ersteigung des Pik Lenin teil.
Ursprung dieser Bergfahrt
In der Innsbrucker Klinik gab es eine Unterdruckkammer, in der man die Sauerstoff- und Druckverhältnisse in großen Höhen simulieren konnte. Unter Aufsicht von Dr. Gerhard Flora setzte ich mich mit Otti Wiedmann in diese Kammer, wo es nur ein Fenster gab, über das der Arzt unser Verhalten beobachten konnte. Wir wollten natürlich „auf Teufel komm raus“ die ultimative Belastung erfahren und saßen nebeneinander auf der Bank, bis der erste umkippte. Nachdem uns Gerhard wieder befreit hatte, waren wir nun zwar etwas rustikal, aber doch über die Probleme in großen Höhen informiert. Unsere Begleiter hatten keine Lust mehr auf denselben Test, erzählten jedoch im Freundeskreis, dass „der Spitz mit der Höhe arge Probleme habe“.
Mir persönlich war klar, dass es hier eine Extrembelastung in sehr kurzem Zeitraum gab und somit keinesfalls mit der Situation beim Bergsteigen vergleichbar war. Ich wusste von meinen Touren auf hohe Berge über 4000m, dass ich keine Auffälligkeiten verspürte und war mir sicher, auch in größeren Höhen, nach entsprechender Akklimatisation, nicht mehr gefährdet zu sein als andere. Interessanterweise hielt sich die „Erkenntnis“, dass der Spitz „nix für die Höhe taugt“ derart deutlich, dass ich beschloss, wenigstens einmal auf einen „hohen Berg“ zu gehen, um dieses Märchen als solches zu entlarven. Die Wahl fiel auf den Pik Lenin, der mit spezialisierten Reiseveranstaltern gut erreichbar ist. Vor allem musste es ein Berg sein, der in maximal 3 Wochen erstiegen werden kann, weil ich beruflich nie länger abkömmlich war.
Anreise
Über Moskau flogen wir nach Fergana (Usbekistan) und weiter nach Osch in Kirgistan. Von hier gings mit einem Bus bis zur Grenze von Kirgistan zu Tadschikistan wo angeblich noch geschossen wurde. Am 3. Tag fuhren wir nach einem Umweg wegen der Gefechte über 2 Pässe ins Alaital bis Atschik Tasch (3600 m), dem Ausgangslager für die Besteigung des Pik Lenin. Eine Jurte der Einheimischen konnten wir besuchen und die geschickten Nomaden bei der Vorführung ihrer Reitkünste beobachten.
Als Eingehtour stiegen wir am nächsten Tag auf den 4210 m hohen Pik Abalakow. 750Hm Wiesenhänge und viel Schotter. Für den 5. Tag haben wir uns den Pik Petrovski 4800 m vorgenommen, den wir nach 4 Stunden und 1100 Hm Aufstieg bei herrlichem Wetter problemlos erreicht haben und einen traumhaften Blick auf den Pik Lenin bekamen.
Den Tag 6 begannen wir mit unserem Angriff auf den Pik Lenin. Mit 33 kg Gepäck am Rücken, gingen wir von der berühmten Zwiebelwiese über den „Pass der Reisenden“ am Lenin Gletscher hinein bis zu unserem Lagerplatz 1 auf 4200 m. Es war sehr anstrengend und so war ich eher froh darüber, dass es am nächsten Tag schneite und ich deshalb einen Ruhetag genießen konnte. Weil es auch am folgenden Tag keine Aussicht auf Wetterbesserung gab, gingen wir wieder hinaus zur Zwiebelwiese und ließen es uns im Lager der Weißrussen 3 Tage lang gut gehen. Eine Kuh wurde für uns geschlachtet und ein feines Essen dargeboten.
Unser Lager 1 auf 4200 m nach der ersten Nacht am Berg
Besteigung des Pik Lenin
Endlich zeigte sich das Wetter wieder von der hoffnungsvollen Seite. Es war am 11. Tag, als wir uns erneut zu unserem hohen Berg auf den Weg machten. Welch ein Unterschied: Mit leichtem Gepäck (12 kg) erreichten wir an diesem herrlichen Tag bereits nach 3 Stunden unser Lager 1. Polen kamen von 6000 m herab, ihr Kommentar war nicht gerade ermunternd: „It’s a very long, bloody trail to camp 2“.
Während der Nacht gab es wieder 15 cm Neuschnee, doch wir starteten am nächsten Morgen mit 30 kg Gepäck in Richtung Lager 2. Es war sonnig und sehr heiß mit starker Strahlung, die uns zu schaffen machte beim Aufstieg bis auf 5200 m, wo wir unser Lager auf einem Geröll-Fleck errichten konnten. 7,5 Stunden dauerte der beschwerliche, weite Weg bis hier herauf. Der anschließende 13. Tag wurde als Ruhetag eingeschoben, um Kraft tanken zu können für die oberen Etappen unseres Aufstiegs.
Geplanter Weltrekord
Unser Begleiter Günther Jakubetz aus Wiener Neustadt ist ein ambitionierter Golfspieler. Als solcher hat er sich ein sehr spezielles Wunschziel gesteckt: Er hat einen Golfschläger und 3 Golfbälle mitgenommen und wollte am Gipfel, den bis dahin bestehenden Weltrekord von 6300 m für den höchsten Golf-Abschlag, deutlich überbieten. Es hat aber wohl seinen guten Grund, warum bisher noch niemand auf die Idee gekommen ist, das schwere Zeug noch höher hinaufzutragen. Für Günther war der „Golfausflug“ jedenfalls hier in Lager 2 zu Ende. Er hatte starke Kopfschmerzen und musste sich übergeben. Seinen Entschluss hier umzukehren, allein (!) abzusteigen und eine Solo-Heimreise zu organisieren, war abenteuerlich. Mit Bewunderung haben wir später erfahren, dass alles gut gegangen und er zu Hause wohlbehalten angekommen ist. – Respekt!
Aufstieg zum Lager 3 auf 5700 m mit dem Weiterweg zum Pik Rasdelnaja
Der Pik Rasdelnaja 6180 m fiel uns “nebenbei in den Schoß”
Mit 25 kg im Rucksack sind wir Tiroler dann am Tag 14 in Richtung obere Lager gestartet. Ein steiler Hang bei großer Hitze gestaltete unseren Aufstieg ziemlich mühsam. Klaus Brandmaier kam nicht richtig in Schwung und kehrte zum Lager 2 zurück. Mit Hans Penz kam ich am frühen Nachmittag auf eine Schulter auf 5700 m, wo wir unsere Zelte auf einem ebenen Platz im Trockenen aufstellen konnten. Es war ein idealer Platz für unser Lager 3, wo wir die klare, kalte Nacht (bei 1° C im Zelt) noch sehr gut verbrachten.
Am nächsten Morgen erwartete uns eine steile Flanke, die geradewegs 480 Hm hinaufzieht zum Gipfel des Pik Rasdelnaja 6180 m. Zwar ohne technische Probleme, jedoch mit dem schweren Rucksack kostete dieses Stück 2 Stunden Gehzeit. Klaus kam später noch ohne Gepäck bis auf diesen 6000er Gipfel herauf, stieg aber dann gleich wieder auf Lager 3 ab.
Das Lager der Deutschen am Sattel 6080 m Unser Lager 4 auf 6450 m mit Pik Lenin Vorgipfel
Bald nach diesem Gipfelsieg am Rasdelnaja, stieg ich mit Hans Penz zum Sattel ab, wo eine große deutsche Gruppe ihr Lager aufgeschlagen hatte. Wir wollten aber möglichst noch einen Teil des weiteren Aufstiegs zum Pik Lenin hinter uns bringen und gingen deshalb einfach weiter. Auf 6450 m fanden wir einen sehr guten Platz für unser 4. Lager. Die Anstrengung des Aufstiegs hatte sich bei mir bemerkbar gemacht – ich war richtig müde und heilfroh, dass Hans das Kochen übernommen hatte. Allerdings hatte ich nicht die geringsten Anzeichen einer Höhenproblematik. Weder Kopfschmerzen noch Übelkeit. Die eindrucksvollen Ausblicke zu den Eisriesen beim Sonnenuntergang bleiben trotz der „bleiernen Füße“ unvergessen.
Beinhart gefroren – Steigeisen erforderlich Problemloses Gelände, aber schier endlos
Die letzte Etappe bis zum Gipfel
Mittwoch, 2. August 1995, der 16. Tag nach unserer Abreise aus Innsbruck, brachte zunächst einen bitterkalten Morgen (-15° C) an dem mir einfach nichts geschmeckt hatte. So habe ich fast nichts gegessen, als wir Richtung Gipfel aufbrachen. Silvia und Much, sowie Franz Müller haben auch neben uns gezeltet und so sind wir gemeinsam gestartet zu dem noch weit entfernten Ziel. Es sind zwar „nur“ ca. 700 Hm zu bewältigen, aber zusätzlich eine ordentliche Entfernung. Der große Vorteil dieses Tages lag am Umfang unseres Gepäcks. Es blieb fast alles im Lager 4 zurück, nur das Notwendigste packten wir ein. Der Mangel an Ernährung machte sich bald bemerkbar, ich verspürte Hunger, wollte aber nicht extra unseren Aufstieg unterbrechen. Besondere Freude kam in mir hoch, weil ich trotz meiner stark gefühlten Anstrengung, keinerlei Probleme mit dem Kopf oder dem Magen verspürte. Im obersten Teil des Gipfelanstiegs ging dann jeder nach seinem Rhythmus. Für mich war es zwar mühevoll, jedoch gab es keinen Zweifel, dass wir unser Ziel heute erreichen werden.
Der Gipfel des Pik Lenin trägt keinerlei Markierung Die Pose auf 7140 m muss für meinen höchsten Punkt genügen
Um 13h stand ich am Gipfel des Pik Lenin 7140 m, dem höchsten Punkt in meinem Leben. Es war ein traumhaft schöner Tag, windstill, tolle Fernsicht und bis auf Klaus, waren alle am Gipfel angekommen. Mit Hans ging ich noch auf den ca. 5 m höheren Gipfel hinüber und wieder zurück, weil wir mit Silvia und Much noch eine Fotoserie aufnehmen wollten. Das Ziel vom Erreichen eines hohen Berges ist für mich somit mit vollem Genuss aufgegangen. Im herrlichen Sonnenschein stiegen wir zu unserem Lager 4 ab, wo ich mich bereits um 15h30 „streichfähig“ im Zelt ausstrecken konnte.
Silvia und Much Leuprecht am Gipfel des Pik Lenin Hans Penz packt Lager 4 zusammen
Langer Abstieg mit einem Biwak
Nachts gab es Sturm und etwas Schneefall. Um 9h begannen wir den Abstieg nach Lager 3. Vom Sattel gab es noch die ca. 100 Hm Gegenanstieg auf den Pik Rasdelnaja, dann aber folgte der weitere Abstieg bis ins Lager 2, das wir zu Mittag erreichten. Nach einem warmen Mittagessen packten wir die Zelte zusammen und stiegen noch weiter ab bis ins Lager 1. Nun hatten wir 2200 Hm Abstieg hinter uns und freuten uns über den Zettel, den uns Klaus Brandmaier hinterlassen hatte, auf dem er uns mitteilte, dass er heute um 11h ins Basislager hinausgegangen ist, uns aber morgen entgegengehen wird!
2200 Hm Abstieg bis ins Lager 1 mit dem ganzen Gepäck – ein ausgefüllter Tag
Am Tag 18 hatten wir unser gesamtes Material (ca. 30 kg) wieder aufgeladen und sind den langen Weg am Lenin Gletscher hinausgegangen. Am „Pass der Reisenden“ waren wir mit Klaus zusammengetroffen, der sofort einen unserer Rucksäcke übernahm und damit eine wunderschöne Geste der Kameradschaft zum Ausklang dieser Bergfahrt im Gelände der Weltberge setzte.
Die letzten Meter auf den “Pass der Reisenden” Der Berichterstatter
Die Besteigung des Pik Lenin mit gesunder Rückkehr, ist in meiner Erinnerung, begünstigt durch gute Wetterbedingungen, als Erfahrung mühevollerTätigkeit beim Erreichen hoher Berge gespeichert worden. Für mich persönlich war zusätzlich die gewonnene Erkenntnis von Bedeutung, dass mich, abgesehen von der notwendigen Akzeptanz von Strapazen, gesundheitlich keine Probleme in goßen Höhen erwarten würden. Natürlich sind die 8000er eine Klasse für sich – durch wesentlich längere Akklimatisation hätte ich mir jedoch auch in diesen Gefilden gute Chancen eingeräumt, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte bei einer der Expeditionen teilnehmen zu können, zu denen ich eingeladen wurde.
Die Reise zum Pik Lenin war eine Bergfahrt ohne technische Probleme mit unvergesslichen Eindrücken von Land und Leuten, sowie ein kameradschaftliches Erlebnis der ungetrübten Art.