Chimborazo

Published by Klaus Brandmaier on

Entschluss für neue hohe Ziele

Nach der Expedition nach Kirgistan juckte es mich bereits im Herbst wieder etwas zu unternehmen. Im Katalog von Edi Koblmüller (Bergspechte- Linz) wurde eine Reise nach Ecuador mit vielen interessanten Berg-Zielen ausgeschrieben. Ruppi Geiswinkler konnte ich ebenfalls dazu begeistern. 

Kurz nach Weihnachten 1995 flogen wir von Wien über Madrid nach Quito, der Hauptstadt Ecuadors. Beim Zwischenstopp in Madrid ging es sich für einen Ausflug in die Innenstadt aus. Die Menschenmassen auf den Straßen und die festlich beleuchteten Fassaden der Patrizierhäuser waren ein erstes Erlebnis. Dem Museo de Camon statteten wir nur einen kurzen Besuch ab. Die Preise dort sind derart horrend, dass einem schnell der Appetit vergeht. 

Nach einem kurzen Tankstopp in Santo Domingo und einem wunderbaren Flug über den Golf von Mexiko und den Urwäldern von Kolumbien, kreiste unser Kapitän gekonnt zwischen den Wolken auf den Flughafen von Quito hinunter. Kurz vor dem Aufsetzen hat man das Gefühl direkt an den Wohnzimmerfenstern der Häuser am Hang vorbeizufliegen. Die Rollbahn ist im Laufe der Zeit völlig von der Stadt eingekreist worden. Hier zu landen ist für die Piloten der großen Maschinen sicher eine besondere Herausforderung.

Edi hat direkt in der Innenstadt ein tolles Quartier in einer ehemaligen Herrschaftsvilla reserviert. Auf der nahe gelegenen Hauptstraße veranstalteten die Einheimischen ein gewaltiges Silvesterfest. So einen Lärm und Geknalle hatte noch keiner von uns erlebt. Bei einem Straßenverkäufer in einer Nebengasse kauften wir dann auch einen Sack voll Knaller.

Die Zündung des letzten ging für Edis Sohn Reinhard beinahe ins Auge. Direkt vor unserer Pension legte er das verwegen aussehende Stanitzel aus Packpapier auf den Pfeiler des Gartenzauns und duckte sich zum Zünden mit dem Feuerzeug darunter. Das war sein Glück: Im gleichen Moment als er mit der Flamme an das Papier kam, explodierte der Donnerschlag ohne Verzögerung! Darauf gingen wir ziemlich blass schlafen. Reinhard hätte dieser Eigenbau-Donnerschlag leicht ein paar Finger oder eine schwere Gesichtsverletzung kosten können.

Trainingstour Rucu Pichincha 4696 m

Als Eingehtour wählte Edi den hohen Viertausender Rucu Pichincha, direkt über Quito. Den wunderbaren Grat im dritten Schwierigkeitsgrad bestiegen viele von uns seilfrei. Die anderen gingen über den staubigen Normalweg.

Nach einer Besichtigung der Altstadt mit ihrer spanischen Geschichte, den goldüberladenen katholischen Kirchen und den zahllosen armen Straßenkindern, fuhren wir über den Äquator zu einem Markt der Otavalo Indianer.

Dieser äußerst geschäftstüchtige, aber auch sympathische Indianerstamm ist in der ganzen Welt mit seinen Souvenir-Erzeugnissen vertreten. Am Rückweg besuchten wir noch die Laguna Cuicocha, einen landschaftlich wunderbar gelegenen Kratersee. In der Ferne leuchteten die Eisfelder des Cayambe, ein über fünftausend Meter hoher Vulkan im Urwald des Amazonasbeckens.

2 Fünftausender:  Iliniza Norte 5126 m und Iliniza Sur 5245 m

Unsere nächsten Ziele waren die Fünftausender Gipfel der Illinizas über der Sierra. Bei der Abfahrt mit den Jeeps der ecuadorianischen Agentur wurde uns die Gelassenheit der Südamerikaner vor Augen geführt. Erst nach der Abfahrt vom Hotel wurde getankt, Luft geprüft und Öl nachgefüllt.

Unter der Hütte bezogen wir zur Akklimatisation ein Zeltlager. Am nächsten Tag stiegen wir ganz langsam, so wie es sich in dieser Höhe gehört, bis zur Unterkunftshütte am Sattel zwischen den beiden Gipfeln Norte und Sur. Der Indianerkoch hielt bei unserer Ankunft bereits Mate bereit. Nach der Rückkehr vom Gipfel des Norte begannen alle ihre Steigeisen zu feilen, nachdem beim Abstieg zwischen den Nebelfetzen die steile teilweise blanke Flanke  des Sur zu sehen war.

   

Nach einer kalten Nacht waren wir nur mehr eine sehr kleine Gruppe. Der Großteil der Mannschaft (Frauen waren aber schon auch dabei) traute sich den steilen Aufstieg nicht zu. Lediglich im unteren Teil, wo Gletscherspalten zu befürchten waren, gingen wir angeseilt. Die ausgesetzte Gipfelflanke mit ca. 45 Grad steilen harten Firn bewältigten alle seilfrei. Vom Gipfel aus konnten wir den Vulkankegel des Cotopaxi (5897 m) und am Horizont den Chimborazo (6310 m), unsere nächsten Ziele sehen. Beeindruckend war auch der Tiefblick über die vereiste Gipfelwechte auf die zweitausend Meter unter uns liegenden grünen Felder der Sierra.

Land und Leute haben uns immer interessiert

In Latacunga, der Stadt, die immer wieder vom nahen Cotopaxi in Schutt und Asche gelegt wurde, hatten Edi und sein neuer Partner in Ecuador wieder ein First-Class-Hotel ausgesucht. Damals kam von uns der Spruch dieser Reise auf: „Zu wenig Gipfel, zu gute Hotels“. Aber Edi als souveräner Expeditionsleiter, nahm unsere Neckereien gelassen. Der mitgebrachte Whisky überbrückte auch hier so manche aufkommende schlechte Stimmung. 

Den bekannten Wochenmarkt in Saquilisi der Salasaska Indianer ließen wir uns auch nicht entgehen. Die ältere Generation der Hochland Indianer reichte uns maximal bis zur Brust. Wir ragten wie Riesen aus der Menge der Käufer und Verkäufer. Gesellschaftlich sind die Mischlinge zwischen Europäer und Indianer die ärmsten Hunde. Sie verdingen sich als Träger für die ebenfalls armen Indianer ihr Brot. Schwarze sind da schon besser dran und fühlen sich offensichtlich aufgrund ihrer Körpergröße auch dementsprechend selbstbewusst. Angeboten wird alles, was man sich nur vorstellen kann: Hühner, Bananen, Meerschweindln, Gemüse, Schafe, Schweine, Textilien, Holzbetten, Schmuck, einfach alles, was das Land zu bieten hat.

Der “lebende” Vulkan Cotopaxi  5897 m

Der Cotopaxi ist nur knapp kein Sechstausender, ist aber immer noch ein aktiver Vulkan. Ausgangspunkt ist das Refugio Jose Ribas auf 4800 m.

Ruppi und mir wurde von Edi ein junger einheimischer Führeranwärter, Ronaldo, zugedacht. Beim Aufstieg meinte er bei einem Funkspruch mit Edi „we are going very fast“. Obwohl ich den ganzen vorhergehenden Tag wegen Montezumas Rache nichts gegessen hatte, bekam ich erst auf den letzten 100 Höhenmetern Probleme mit der dünnen Luft. Am Gipfel rochen wir nur den Schwefel des nahen Kraters. Gesehen haben wir nichts. Am Gipfelfoto, das Ruppi von mir und Ronaldo gemacht hat, ist die Stirnlampe vom nächtlichen Aufstieg sogar noch eingeschaltet.   

Beim Abstieg war ich zum Glück so gescheit und hab mir, zwar noch im Nebel, aber bei einer bereits intensiven Strahlung, die Sonnenbrille aufgesetzt. Andere Expeditionsmitglieder, die wesentlich später abgestiegen sind, zogen sich schmerzhafte Bindehautentzündungen zu und haben tagelang nichts mehr gesehen.

Unser nächstes Ziel war Banjos unter dem aktiven Vulkan Tungurahua. Bei seinem letzten Ausbruch vor zwei Jahren hat er den Ort völlig verwüstet. Unser Hotel an einem Hang des Vulkans wurde mit seiner Geowärme versorgt. Im Freibecken gab es eine betonierte Rutsche. Der ecuadorianische Guide hat sich an einem herausstehenden Betoneisen ordentlich verletzt. Die Busfahrt zum vorgesehenen Kurzausflug ins obere Amazonasgebiet endete kurz hinter Banjos vor einem gesperrten Tunnel. 

So konnten wir einen Tag richtig ausspannen und die Stadt und die Umgebung erkunden. Am Hauptplatz standen die typischen südamerikanischen Busse mit exotisch klingenden Reisezielen wie Sangay und anderen Orten im Amazonasbecken am Ankündigungsschild oberhalb der Windschutzscheibe. Wie auch in anderen Ländern, wo Reisebusse noch die einzige Möglichkeit sind große Strecken zu überbrücken, sind die Fahrer entsprechend selbstbewusst. Sie schmücken ihre Fahrerkabinen mit allen möglichen Amuletten und sonstigen Glücksbringern. Gleich daneben war eine Verkaufsstelle für Zuckerrohr, das in allen möglichen Varianten angeboten wurde. Die Zähne der meisten Indios sind vom häufigen Kauen dieser Stängel, entweder schon abgefault oder braun- schwarz verfärbt. Beliebt ist auch die Herstellung von einer Art Stollwerk. Der ausgepresste Rohzucker wird so lange geknetet und an einem Nagel in der Wand so lange gezogen, bis aus der langen dünnen Wurst die Zuckerlen abgeschnitten werden können.  

Die gebratenen Meerschweindln, die über Holzkohlenfeuer aufgespießt werden, verlockten uns aber nicht zum Probieren. Gustav Ammerer, ein Mikrobiologe aus Wien, mit dem ich einige Jahre später in Tibet an der Shisha Pangma noch einmal zusammengekommen bin, erzählte uns, dass die gebratenen Meerschweindln so ähnlich wie Hühnerfleisch schmecken. 

Wechsel zu unserem Hauptziel, dem Chimborazo 6310 m

Nach Riobamba, dem Ausgangspunkt zum Chimborazo, war es nicht besonders weit.  Die Busfahrt über die Sierra mit ihren bettelarmen Hochland Indianern gab uns einen weiteren Einblick, wie die Bevölkerung von den wenigen Reichen im Land ausgebeutet wird. 

Das Wenige, das sie auf ihren Feldern in dieser Höhe über viertausend Meter ernten, müssen sie verkaufen, um ihre Schulden bezahlen zu können. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt. Nicht einmal die katholische Kirche, die zu den reichsten Grundbesitzern im Land gehört, findet es der Mühe wert, diesem Ausbeutungssystem Einhalt zu gebieten. Was sollte man von so einer Kirche wirklich halten, die ihre Gläubigen gerade nur vegetieren lässt? Es schaut fast so aus, als würde sie dieses System unterstützen oder gar mit Absicht betreiben. Den wenigen Priestern, die versuchen, diesen armen Hunden zu helfen, werden nicht nur Prügel zwischen die Füße geworfen, sondern auch mit Morddrohungen bedacht.

Das Refugio Whymper steht genau auf fünftausend Meter. Vom Ende der Straße braucht man nur mehr eine Stunde Aufstieg.

Edi teilte uns wieder Ronaldo zu und wir starteten noch vor Mitternacht zum über 6 tausend Meter hohen Gipfel. Am unteren Teil der langen steilen Gipfelflanke überholten wir die beiden Amis, die bereits 5 Stunden vor uns gestartet waren. Es hat ihnen überhaupt nicht gefallen, dass wir ohne Eisschrauben zu setzen, sie überholten. Auf den Gipfel kamen sie nicht. Beim Abstieg haben wir sie dann wieder überholt.

Am Gipfel ging ein heftiger Höhensturm. Es rächte sich fürchterlich, dass ich im Hotel in Riobamba meinen guten Anorak und die warmen Handschuhe vergessen hatte. Wir flüchteten nach kurzer Rast und waren nach weniger als 3 Stunden schon wieder bei der Hütte. Unseren Führer haben wir dabei ganz schön beansprucht. Er war sicher froh, uns Spinner losgeworden zu sein. Er hatte vor, im gleichen Jahr noch die Aconcagua Südwand zu durchsteigen. Wir haben ihm viel Glück gewünscht!

Edi kam Stunden später mit ordentlich geschwollenen Wangen zurück. Dass gerade ihm, dem mehrfachen Achttausender Mann die Höhe so zusetzte, war schon erstaunlich. Auch der Rest der Truppe kam ziemlich geschafft zurück. Der ecuadorianische Guide, bei Edi am Seil ist angeblich am Gipfel vor Erschöpfung zusammengebrochen.

Whymper der Erstbesteiger, wählte angeblich eine andere Route. Reinhold Messner wollte diesen Aufstieg nachvollziehen, musste aber feststellen, dass diese Route nicht mehr begehbar ist. 

Abenteuerliche Fahrt mit dem “Spezialzug”

Zum Abschluss der Reise unternahmen wir noch eine Fahrt mit dem berühmten Ferrocarrille ins westliche Tiefland Richtung Pazifik. Die Touristen sitzen am Dach und die Indianer machen es sich in den Waggons gemütlich. Die Fahrt geht durch die tief eingeschnittene Schlucht von Duran. Das Gelände ist so steil, dass anstelle von Kehren, der Zug reversieren muss. Kurz vor Erreichen der Tiefebene stiegen wir in Alausi aus und konnten noch beobachten, wie die schwere Diesellok nach einer Entgleisung mit Steinen wieder auf die Geleise bugsiert wurde.

Am Flughafen von Quito verabschiedeten wir uns von den beiden Gruppen die eine Verlängerung gebucht hatten. Einige flogen mit Edi auf die Galapagos. Fünf Mann reisten nach Santiago de Chile weiter, um den Aconcagua zu besteigen. Ruppi und ich hatten genug gesehen und wollten wieder heim.

Der lange Flug über den Atlantik, eingeklemmt in der Mittelreihe, wurde zur Tortur. Ruppi warf sich eine ordentliche Portion Rohypnol ein. In Madrid, wo wir wieder umsteigen mussten, war er kaum wach zukriegen, ich hab ihn dann kurzerhand aus dem Flieger geschleift.

Der Weiterflug nach Wien und die Heimfahrt mit dem Zug verliefen problemlos. 

Am Bahnhof in Jenbach konnte ich meine liebe, tapfere Traudi in die Arme schließen.

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