Die Krone meiner Heimat

Published by Walter Spitzenstätter on

Es hat dann Jahre gedauert, bis ich endlich das Zusammensuchen aller Gipfel aus den Führerwerken und aus den genauesten Karten abschließen konnte. Meine Liste umfasst dabei alle Gipfel von Nordtirol in der Reihenfolge ihrer geografischen Position, beginnend im Nordwesten Richtung Osten, wobei ich alle Bergkämme jeder Gebirgsgruppe der Reihe nach erfasste, zuerst die nördlichen, dann die südlichen.

Am Ende ergab sich die Zahl 3485 als Summe aller Gipfel von Nordtirol. Nun hatte ich eine umfangreiche Arbeit abgeschlossen und war doch nicht richtig zufrieden mit dem bloßen Ergebnis der Summe. Es musste da wohl noch etwas mehr herauszuholen sein als nur eine trockene Ziffer. So machte ich mich daran die nüchterne Aufzählung nach interessanten Aspekten zu durchleuchten. Dabei bot sich zunächst die Auswertung aller Positionen nach Suchkriterien an. Ich machte eine Aufstellung aller Gipfel nach dem ABC und eine in der Reihenfolge nach ihrer Höhe (hier kann man sich ein wenig spielen mit den Gipfeln meiner Heimat).

Ebenfalls interessant erschien mir eine Aufstellung aller „höchsten Erhebungen“ der verschiedenen Gebirgsgruppen und der darin unterteilten Gebirgskämme.

Auf der Suche nach dem nördlichsten, dem südlichsten, dem westlichsten und dem östlichsten Gipfel von Tirol, erkannte ich, dass es absolut interessant ist zu schauen auf welchen dieser Gipfel ich selbst schon gewesen bin.

Nachdem ich festgestellt hatte, dass ich die überschaubare Menge jener Gipfel aus der Liste der „höchsten Erhebungen“ bereits erstiegen hatte, überlegte ich welche Zusammenfassung es wert sein könnte, sich die Ersteigung dieser Liste von Gipfeln als erstrebenswertes Ziel auszusuchen. Sich allein auf die Gipfel einer bestimmten Gebirgsgruppe zu fixieren, erschien mir nicht besonders interessant zu sein und das ultimative Erreichen aller Gipfel von Tirol habe ich von vorne herein als nicht sinnvoll und wohl auch kaum innerhalb eines einzigen menschlichen Bergsteigerlebens für machbar gehalten.

Da fiel mir eine ganz besondere Linie auf, der entlang ich bereits oft schon unterwegs war und die mir geeignet erschien, als bergsteigerisches Ziel auserkoren zu werden. Unabhängig von der Zugehörigkeit zu den einzelnen Gebirgsgruppen, fällt bei der Betrachtung unserer Kartenwerke immer die deutlich dargestellte Grenzlinie auf, die bei uns in Nordtirol eine für Bergsteiger besondere Köstlichkeit darstellt. Bis auf wenige kurze Unterbrechungen besteht unsere Grenze nämlich durchgehend aus Gipfeln, die überall für alpine Unternehmungen interessant sind. Meine Gedanken kreisten um die leuchtenden Schnee- und Eisgipfel des Alpenhauptkammes, der im Wesentlichen unsere Südgrenze bildet, dann erinnerte ich mich an die schroffen, kantigen Gratverläufe im nördlichen Grenzbereich der Allgäuer Alpen, an denen ich weite Strecken bereits geklettert bin.

Das war’s – die Korona aller Gipfel die Tirol rundum als Grenzwächter besitzt, die teils stolz in großer Höhe aufragen, teils schwierigste Felsgrate besitzen, aber auch teilweise begrünte Kammverläufe überragen, welche die gesamte Grenze unseres Bundeslandes wie die Zacken einer Krone zieren, die unsere Heimat trägt. Allein die große Zahl all dieser Gipfel im Norden und im Süden an der Staatsgrenze und dazu noch die Gipfel an der Landesgrenze im Westen und im Osten, ergibt ein umfangreiches Projekt, wenn man versuchen möchte all diese Gipfel irgendwann einmal zu besteigen. Insgesamt gibt es  352  Gipfel an den Staatsgrenzen und  137  Gipfel an den Landesgrenzen, somit also  489  Gipfel, die sich wahrscheinlich bisher noch niemand in dieser Zusammensetzung als Ziel auserkoren hat.

Der Zillerkamm

Wenn in Bergsteigerkreisen von Gipfelsammlern die Rede ist, dann hat die Einstufung in diese Spezialkategorie eher einen despektierlichen Beigeschmack. Das mag vielleicht daher kommen, dass die Tätigkeit des Sammelns derart verbreitet und selbstverständlich ist, dass es als völlig normal und keinesfalls als etwas Besonderes empfunden werden kann. Schon die ersten Menschen waren Jäger und Sammler. Etwas zu sammeln, aufzubewahren und sich am Besitz des gesammelten Gutes zu erfreuen, war ursprünglich absolute Notwendigkeit. Später dann, als der Mensch in der Lage war sich für Güter zu interessieren, die er nicht unbedingt zum Leben benötigte, wurde alles Mögliche gesammelt was man sich nur vorstellen konnte. Vorwiegend ging es um Wertgegenstände, Kunst und verschiedenste Artikel, die sich lohnten, gesammelt zu werden.

Fast jeder Mensch besitzt in irgendeiner Form den Drang jene Dinge, die er besonders schätzt, auch zu besitzen. Und manchem Menschen wird es gar nicht bewusst, dass er durch die Vorliebe für sein Thema sich als Sammler betätigt. Dabei ist das Sammeln nicht nur auf das Zusammentragen von Gegenständen beschränkt, sondern es gibt praktisch nichts, was nicht gesammelt wird. Abgesehen von der Sammlung sportlicher Erfolge, die durch Pokale oder Medaillen belegbar sind, gibt es spätestens seit Casanova begnadete Frauenhelden, die ihre Liebesabenteuer sammeln – allerdings ob und in welcher Form diese administrierbar sind, hängt von der Mitteilungsfreudigkeit des betreffenden Sammlers ab . . .

In vielen Bereichen gibt es abstrakte Dinge, die gesammelt werden. So auch im Alpinismus. Analog der großen Vielfalt bei der Ausübung des Bergsports, lässt es sich in jeder Sparte vorzüglich sammeln. Egal ob die „Mountainrunner“ ihre Höhenmeter sammeln, ob sich die Sportkletterer ihre Erfolge an den fantasievoll benannten schwierigsten Anstiegen notieren, ob die Eiskletterer sich aufschreiben welche gefrorenen Wasserfälle sie in einem Winter geklettert sind, ob die Topalpinisten ihre schwierigsten Touren veröffentlichen oder ob ein „Normalbergsteiger“ in seinem Tourenbuch die erklommenen Gipfel verewigt – sie alle sind Sammler, Sammler ihrer Werte, die sie für sich als wichtig empfinden.

Das Sammeln an sich ist also überhaupt nichts Besonderes, allerdings gibt es so wie überall, auch hier ganz unterschiedliche Intensitäten. Manch einer hält überhaupt nichts von der Registrierung seiner alpinen Tätigkeiten, mancher trägt nur sporadisch seine Touren im Kalender ein und wieder andere führen ein Bergfahrtenbuch, in dem sie alle alpinistischen Unternehmungen vollzählig eintragen.

Ich für meinen Teil habe jedenfalls vom ersten Ausflug auf einen Gipfel mit 15 Jahren, bis zum heutigen Tag, alle Besteigungen aufgeschrieben – und es wäre sicher mein erster Griff zu den Tourenbüchern, wenn es einmal bei mir brennen sollte . . . Ich bin mir ganz sicher, dass es noch sehr viele Menschen in Tirol gibt, denen ihr Tourenbuch ebenso viel bedeutet.

Es gibt Leute, die machen tatsächlich mehr als 300 Gipfel in einem Jahr! Mir ist das noch nie gelungen, allerdings habe ich es auch nie ausgesprochen darauf angelegt, mir war immer wichtig, das Bergsteigen als Ausgleich zu den Anforderungen des Alltags zu betreiben, es sollte immer Spaß machen und keine Zwänge auferlegen. Trotzdem habe ich derzeit mehr als 7000 Gipfelbesteigungen seit Beginn der Aufzeichnungen in meinen Tourenbüchern vermerkt.

Die relativ hohe Anzahl an erstiegenen Gipfeln wurde mir durch verschiedene Umstände ermöglicht. Allen voran das Glück guter Gesundheit, ein gleichgesinnter Partner im Leben und natürlich eine kräftige Portion „Auftrieb“, die mich bis heute noch nicht verlassen hat.

Man muss schon ein Leben lang konsequent Bergsteigen, um 7000-mal oder öfter auf einem Gipfel „Berg Heil“ sagen zu können, trotzdem bin ich überzeugt, dass es kaum gelingen kann, alle Gipfel Tirols in einem Leben zu ersteigen. Man sollte sich zwar nie auf  Absolutes einlassen, wer aber auf alle 3485 Erhebungen steigen will, der mag sich früh dazu entschließen, möglichst nicht viel krank werden, eine Lebensgefährtin suchen, die dasselbe Ziel hat, keine Unterbrechungen durch Studium, Hausbau, Berufswechsel, etc. – aufkommen lassen und ein Leben lang das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Sollte es so einen Menschen einmal geben, dann könnte es sein, dass ich meine Meinung von der Unerreichbarkeit aller Gipfel Tirols in einem Leben revidieren müsste.

Categories: Bergsteigen

Walter Spitzenstätter

Walter Spitzenstätter

Walter ist als Tourenwart dafür zuständig, dass am Ende jeden Jahres die Tourentätigkeit unserer Mitglieder erfasst und archiviert wird. Dabei ist er auf den Fleiß der Kameraden angewiesen, die ihre Bergfahrten aufschreiben und als Liste abgeben sollten. Die meisten machen sich die Mühe und halten die Erfolge des Jahres fest, damit auch unsere Nachkommen noch erfahren können was in unserer Zeit im alpinen Bereich geschehen ist.