Die Krone meiner Heimat
Die Tiroler Grenzlinie
Rückblickend auf mein Leben als Bergsteiger kann ich sagen, dass ich das Glück hatte in einer Zeit aufgewachsen zu sein in der das Erreichen eines Gipfels noch zentrale Bedeutung hatte. Alle Bücher, die ich damals verschlungen habe, waren geprägt vom Geiste des fundamentalen Alpinismus. Nicht nur das Bergsteigen an sich war ausgerichtet auf den Gipfelerfolg, sondern auch alle Unternehmungen der schärferen Art, sowohl beim Klettern, bei den Eistouren, als auch bei den Unternehmungen in den Weltbergen, war immer das Erreichen des Gipfels das Ziel. Heute finde ich durchaus auch Gefallen an der sportlichen Einstellung, die in der Ausübung des Kletterns in den immer weiter verbreiteten Sportklettergebieten gepflogen wird. Allerdings bin ich im Grunde meines Herzens immer der Bergsteiger geblieben, der möglichst viele Gipfelziele erreichen möchte. Das fantastische an dieser Leidenschaft ist der Umstand, dass wir tatsächlich ein ganzes Leben lang dieses Ideal verfolgen können und dabei niemals zu einem Ende kommen werden. Bergsteigen ist somit die ideale Lebensbeschäftigung, bei der man seine Ziele den jeweils gegebenen physischen Möglichkeiten stets adäquat anpassen kann. Das gilt für den Jugendlichen genauso wie für den Greis, solange man sich bewegen kann, ist bergsteigen möglich.
Mein Bestreben galt allerdings nicht nur dem Erreichen eines Gipfels per se. Überall dort wo sich die Berge in Formen darbieten, die zum Klettern einladen, habe ich die Herausforderung mit Begeisterung angenommen. Es ist ungleich beglückender nach Bewältigung einer schwierigen Wand oder eines ausgesetzten Grates sich am Gipfel die Hände zu schütteln, als nur am Normalweg diese stolzen Zinnen zu besteigen. Von den bekannten Kletterbergen in Tirol gibt es kaum einen auf dem ich noch nicht gestanden bin, von den meisten kenne ich mehrere Anstiege und einige habe ich auch im Winter mit meinen treuen Partnern bestiegen.
Genau diese Vielseitigkeit in der Geländebewältigung ist Grundvoraussetzung, wenn man die Besteigung aller Grenzgipfel von Tirol ins Auge fasst. Es wäre mir in jungen Jahren allerdings nicht eingefallen ein derartiges Ziel anzustreben, die großen alpinen Herausforderungen standen im Vordergrund. Mein ganzes Denken und Sehnen galt den großen Westalpenwänden. Auch die Berge der Welt wollte und durfte ich kennenlernen.
Im Laufe der Jahre werden die Brötchen immer kleiner gebacken, was die ganz großen, fernen Ziele anbelangt, im heimatlichen Umfeld allerdings gehen die Ziele, der jeweiligen Leistungsfähigkeit angepasst, niemals aus. So hat es sich ergeben, dass ich sehr viele jener Gipfel, die sich entlang dieser magischen Linie an unserer Grenze befinden, bereits gekannt habe, als sich die Idee der Sammlung aller Grenzgipfel für mich zu einer fixen Vorstellung verdichtete. Der Reiz lag darin, dass es sich um ein Unterfangen handelt, dessen Erfüllung zwar nicht aussichtslos war, wohl aber die Anzahl der „fehlenden“ Gipfel nicht nur sehr groß war, sondern, dass sie auch weit auseinander liegen und teils für mich sehr schwer zu erreichen sein würden.
Mein ganzes Streben nur mehr in diese Richtung zu konzentrieren, kam für mich nicht in Frage. Ich wollte mein Leben nicht allein einer derartigen fixen Idee unterordnen, aber es bot sich doch die Möglichkeit, wenn ich die Sache vernünftig im Auge behielte, vielleicht irgendwann einmal von mir behaupten zu können, ich sei auf allen 489 Gipfeln gestanden, die meine Heimat rundum begrenzen.
Genau dieses „im Auge behalten“ ist das Um und Auf für den Erfolg. Vorausschauende Planung und eine gute Logistik für die Auswahl der Ziele, der Partner, des Zeitrahmens, der örtlichen genauen Planung für Anreise, Stützpunkte, Routenwahl, Abstiege etc. sind die weiteren Bedingungen, die für ein derartiges Projekt unerlässlich sind. Wetter- und Lawinenverhältnisse müssen schließlich noch kurzfristig zusätzlich Beachtung finden.
Eine besondere Herausforderung sind die gänzlich unterschiedlichen Landschaftsformen der Berge an unserer Grenze. Kein Wunder, zieht sie sich doch auf einer Länge von ca. 810 km buchstäblich über Stock und Stein, sowie über Eis und Schnee. Die Höhendifferenzen, die im Zuge der einzelnen Besteigungen bewältigt werden müssen, liegen in Summe bei ca. 300.000 Hm, wenn man nicht jeden Gipfel einzeln ansteuert, sondern möglichst nahe beisammen liegende Gipfel im Zuge einer Überschreitung besteigt.