Rubisoier Peppi

Published by Walter Spitzenstätter on

Die Bescheidenheit in Person
04.03.1929  –  25.12.2021

Unser Peppi hat es geschafft – sein sehnlichster Wunsch, endlich zu seiner geliebten Gerta in den Himmel zu kommen, ist nun am 25. Dezember 2021 Realität geworden. Im Wissen um die Endlichkeit des menschlichen Lebens, müssen wir dem Peppi seinen Frieden gönnen und mit ihm für das Ende seiner Leiden dankbar sein.

Wir erinnern uns an „harte Bandagen“, die Peppi nach dem Ableben seiner Gerta einstecken musste, die er immer wieder mit bewundernswertem Lebensmut zu überstehen vermochte. Der Sturz über die Stiege mit dem Halswirbelbruch, dann die lange Rehabilitation, doch aufgeben wollte er nicht, denn am 26. Oktober mit den Gipfelstürmern „beim Stoan“ in den Kalkkögeln das Gedenken an die verblichenen Kameraden zu feiern, war ihm wichtig.

Obwohl es 2019 offensichtlich eine arge Belastung für ihn war, ließ er es sich nicht nehmen von der Kemater Alm zu Fuß bis zum Gedenkstein aufzusteigen. Dabei darf man nicht übersehen, dass für Peppi solch ein Berg Tag auf jeden Fall mit seiner Leidenschaft, der Fotografie, verbunden war. Dazu muss man aber wissen, dass Peppi nicht zur Spezies der „Knipser“ gehörte, sondern ein ausgesprochener Fachmann auf dem Gebiet der Fotografie war. Damit zusammenhängend hatte er immer eine umfangreiche Fotoausrüstung bei sich, die das Gewicht seiner zum Bergsteigen verwendeten Utensilien, bei weitem übertraf. Schon früher, bei unseren zahlreichen Touren in den Ost- und Westalpen war es absolut unmöglich, dem Peppi auch nur ein kleines Teil seiner übermächtigen Rucksackfülle zum Tragen abzunehmen. Er hat damit oft Unverständnis erzeugt, hat sich aber ausnahmslos niemals in seiner Konsequenz beirren lassen. Jetzt aber, mit 90 Jahren immer noch die gleiche Standhaftigkeit an den Tag zu legen, war für die meisten Gipfeler einfach unbegreiflich.

Obwohl Peppi üblicherweise äußerst zurückhaltend in seinen Äußerungen war, wenn es aber um das obligate Gruppenfoto der Gipfelstürmer ging, geriet er förmlich über sich hinaus. Alle mussten sich platzmäßig arrangieren und vor allem zur Kamera schauen und herzhaft lachen. Dazu trug seine einsatzfreudige Geschäftigkeit wesentlich bei, weil die Kameraden alles andere als still hielten und sich viel mehr über die große Mühe, die sich Peppi viele Minuten lang machte, derart erheiterten, dass fröhliche Gesichter automatisch garantiert waren.

Peppis letztes fotografische Arrangement beim “Stoan”

Vielleicht hatte er es damals gespürt, dass es das letzte Mal sein würde, dass er dabei ist. Nachdem Peppi heuer erneut über die Treppe gestürzt ist und sich dabei drei Wirbel und das Becken gebrochen hatte, wurde ihm bewusst, dass es diesmal nicht mehr gelingen wird, ganz zurückzukommen. Er hatte sich bereits mit seinem Ende abgefunden und wollte, ganz nach seiner Lebensart, auch die üblichen Rituale seiner Verabschiedung so gestaltet wissen, dass nur ja nicht seine Person in irgendwelcher Form gewürdigt würde. Wie wichtig ihm das war hat er durch die entsprechend formulierten Wünsche an seine Verwandtschaft hinterlegt.

Für mich persönlich ergab sich aus diesem Gemütszustand von Peppi ein Telefongespräch, das zu den emotionalsten meines Lebens zählt. Am 21. Dezember läutete mein Handy und es meldete sich Peppi mit relativ starker Stimme, die mir signalisierte, dass es sich um ein ernsthaftes Gespräch handelt, bei dem ich Fakten zu erfahren hatte, die mit keinem Einwand umkehrbar waren. Wenn es um seine eigene Person ging – und das war jetzt offensichtlich unausweichlich – dann war immer das Wichtigste, dass er keinesfalls auch nur im Geringsten gelobt oder bedankt würde. Da konnte ich einwerfen was ich wollte, da ließ er nichts gelten – er wollte stets im Hintergrund stehen und niemandem zur Last fallen. Weder beim Tragen noch bei sonstigen Gefälligkeiten, die man ihm angeboten hatte, er hatte immer abgelehnt und völlig autark alle Belastungen, die auf ihn zukamen, bewältigt. So wollte er es auch jetzt halten, wenn er uns wird verlassen müssen. Er wollte keinesfalls, dass wir einen Kranz niederlegen, auch keine Parte in der TT – das war so eindringlich ausgedrückt, dass wir diese Wünsche zu respektieren gezwungen sind.

Fast wäre ich nicht mehr in der Lage gewesen ihm zu antworten, als er mir eröffnete, dass ihm jetzt sein großer Wunsch, mich telefonisch noch zu erreichen, in Erfüllung gegangen ist und er mir sagen möchte, dass er nun zum Sterben bereit sei und nur noch zu seiner Gerta kommen wolle. Ich war so ergriffen, dass mir nichts anderes eingefallen ist, als ihn zu bitten: „Wenn du die Gerta tatsächlich triffst, dann sag ihr bitte an recht an scheanen Gruaß von mir“. Als völlig normal muss er diese Reaktion vernommen haben, weil er ernst, aber durchaus gefasst sagte: „Ja – des merk i mir – und richt‘ es ganz bestimmt aus . . .“

Vier Tage später habe ich die Nachricht von Peppis Abgang erhalten. Wenn ich nur daran denke, dann würgt es mich ganz gehörig. Obwohl ich vielfach mit dem Tod im Familien- und Freundeskreis in Berührung gekommen bin, hat mich diese direkte, intensive Beendigung eines Menschenlebens ganz besonders beeindruckt.

Die Besonderheit des Menschen Peppi Rubisoier lag in seiner kompromisslos gelebten Bescheidenheit. Er wollte immer nur dienen, helfen und für andere da sein. Nur niemals sich selbst wichtig nehmen, das war sein Credo. Vielleicht war es die spürbare Einstellung von vielen Gipfelstürmern, die sich in den Dienst des Bergrettungswesens gestellt hatten und auch für andere da sein wollten, die den Peppi beeindruckt hatte, als er 1977 mit uns auf einer Skitourenwoche im Ötztal unterwegs war. Unvergessen ist der erste Eindruck vom Peppi, der stundenlang die Ausrüstung für eine ganze Woche auf die Langtalereck Hütte schleppte und endlich angekommen, beim Auspacken zuerst für jeden (wir waren 20 Teilnehmer) einen großen, herrlich roten Apfel verteilte – weil „des richtig gsund isch“.

Seine Liebe zur Fotografie spürten wir schon damals. Der Umfang seiner Ausrüstung war imposant. Was wir vorerst nicht wussten, war die Ausstattung seiner Dunkelkammer zu Hause, die alles beinhielt was ein Fachfotograf zur Herstellung brillanter Bilder benötigt. Ein derart hoher Aufwand ist für einen „Amateur“ mehr als ungewöhnlich, hatte aber zur Folge, dass wir am Ende dieser Tourenwoche alle eine ganze Serie von erstklassigen Hochglanzbildern in Größen bis zu 24 x 30cm von Peppi überreicht bekamen. Nachdem damals die meisten von uns keine sonderlichen Ersparnisse besaßen, hatten wir schon leichte Bedenken, ob diesen Aufwand wohl jeder begleichen wird können. Nun ist der Peppi aber nicht nur bescheiden, sondern ebenso spendabel. Anfänglich wollten wir die hervorragenden Bilder zumindest in Höhe seines Materialaufwandes begleichen – aber da kamen wir an den Falschen. Das hat lange gedauert, bis wir später einsehen mussten – für Peppi wäre es eine Beleidigung gewesen, hätte er sich bezahlen lassen. Er hat immer alles, was er für andere unternommen oder aufgewendet hatte, selbst finanziert und ist richtig böse geworden, wenn man seine Geschenke nicht als solche annehmen wollte.

Die Bescheidenheit im Bereich der Fotografie bezog sich speziell auf seine Art einfach von vorneherein nichts gelten zu lassen, das ihn als begabten Fotografen ausweisen sollte. Bevor er die Fotos verteilte, verkündete er lauthals, dass die Bilder „eh nix geworden sind und außerdem alles unterbelichtet sei“. Mein erster Eindruck war, dass es sich dabei um eine Art von Selbstabwertung handle, die eigentlich das Gegenteil bewirken sollte, doch bald wurde mir klar, dass der Peppi sein ganzes Leben auf dieser Einstellung aufgebaut hatte und in diesen Fällen lediglich eine Brücke schlagen wollte, die es dem Empfänger der Fotos leichter machen sollte, die „fast wertlosen Bilder“ ohne Gegenleistung anzunehmen.

Barre des Ecrins

Das Einzige, das Peppi von seinen Gipfelstürmern gerne annahm, war die Begleitung auf vielversprechenden Bergfahrten, von denen er sein ganzes Leben lang zehrte. Da denke ich besonders an jenen Moment, als wir im Dauphiné auf Tourenwoche waren und bei herrlichem Wetter auf den Dome de Neige gingen. Während die meisten von hier mit den Skiern abfuhren, kletterte Peppi mit mir über den langen NW-Grat zum Pic Lory und weiter bis auf den Gipfel der Barre des Écrins (4102 m). Auch am Abstieg musste noch gesichert werden, erst dann konnten wir die Pulverabfahrt genießen. Jedenfalls war es ein Winter-Erlebnis der besonderen Art. Für Peppi waren solche Erfahrungen von unbezahlbarem Wert. Erst später wurde mir bewusst, dass er sein ganzes Leben speziell auf diese Werteskala aufgebaut hatte.

Gleichfalls in Richtung Bescheidenheit muss man wohl seine ständige Ablehnung sehen, wenn wir ihm immer wieder angetragen hatten, doch als Mitglied den Gipfelstürmern beizutreten. „Nein – das kann nicht sein, ich gehöre nicht zu den Spitzenbergsteigern“ war stets sein Argument. Obwohl wir Peppi – unseren Haus- und Hof-Fotografen überall dabei hatten, wo etwas Gemeinsames gestaltet wurde und wir den Peppi längst zu uns zählten, dauerte es bis 2016, dass er es zuließ, endlich in den Klub aufgenommen zu werden. Es gibt bestimmt kein Gleichnis für eine derart lange „Anwartschaft“ eines Gipfelstürmers und wohl auch nur wenige, die eine solch innige Beziehung zum „Spirit of Gipfelstürmer“ haben, wie es der Peppi durchlebt hat.

Peppi beim “Stoan” in den Kalkkögeln

Einerseits tut es uns leid, dass wir Peppi nicht mit den gehörigen Ehren zu Grabe tragen können, aber andererseits müssen wir die Größe dieses Menschen respektieren, der für sich die harte Erkenntnis der totalen Vergänglichkeit verinnerlicht hat. Das Wissen, dass wir ohne unser Zutun entstanden sind und schließlich wieder zu Staub werden und nichts mehr übrig bleibt als die Erinnerung, ist der neue Start in eine andere Sphäre, die wir jedenfalls in Ehren halten werden – das Andenken an unseren Kameraden Peppi Rubisoier, der uns vielfach ein Vorbild war und uns das Wesentliche vor Augen geführt hat.

 

Stiftungsfest 1996 – Das aufwändigste Arrangement für ein Gruppenfoto. Peppi baute eigens eine vier-stöckige Stufenanlage und brachte noch dazu alle zum Herschauen und zum Lachen

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Walter Spitzenstätter

Walter Spitzenstätter

Walter ist als Tourenwart dafür zuständig, dass am Ende jeden Jahres die Tourentätigkeit unserer Mitglieder erfasst und archiviert wird. Dabei ist er auf den Fleiß der Kameraden angewiesen, die ihre Bergfahrten aufschreiben und als Liste abgeben sollten. Die meisten machen sich die Mühe und halten die Erfolge des Jahres fest, damit auch unsere Nachkommen noch erfahren können was in unserer Zeit im alpinen Bereich geschehen ist.