1986 – Alpenhauptkamm Überschreitung Tirol von West nach Ost

Published by Otti Wiedmann on

Unsere Gemeinschaftsaktion der Überschreitung der gesamten Grenzlinie entlang der Südgrenze von Nordtirol, entsprang einer Idee, die vor allem den Zusammenhalt der Gipfelstürmer zeigen sollte. Zum 75. Jubiläum der Gründung unseres Vereins wollte ich einen sichtbaren Beweis erbringen, dass die Gipfeler, wenn sie sich etwas alpin Interessantes vornehmen, dieses Ziel mit größter Ausdauer verfolgen und keine Schwierigkeiten oder Überraschungen scheuen um zum Erfolg zu gelangen. Obwohl nicht alles so gelaufen ist wie geplant, wurde doch der Grundgedanke aufrechterhalten und fast alle Gipfelstürmer haben ihren Beitrag zu dieser außergewöhnlichen alpinen Leistung erbracht. Auch diese Unternehmung ist passend um in der Rubrik „Alpinsportliche Besonderheiten“ vorgestellt zu werden. Otti Wiedmann hat darüber in unserer Festschrift „80 Jahre Gipfelstürmer“ berichtet:

Unser Tourenwart Walter Spitzenstätter hatte sich zusammen mit Sepp Lessiak etwas Außergewöhnliches ausgedacht, was ich für eine ausgezeichnete Idee hielt: Die Überschreitung des gesamten Tiroler Alpenhauptkammes von der Dreiländerspitze bis zur Dreiherrenspitze in einer Vereinsstafette. Die Idee war deshalb so gut, weil jedes Vereinsmitglied, ob jung oder alt, ob mehr oder weniger extrem, seinen Beitrag zu diesem 209 Gipfel (fast 2/3 sind über 3000m) umfassenden Unternehmen leisten konnte, ja musste.

Planung

In mit viel Akribie und bergsteigerischem Wissen erfüllter Arbeit, wurde von Walter ein 32teiliger Etappenplan entworfen. Bei genauerem Studium mussten wir ca. 45 aktiven Mitglieder feststellen, dass einzelnen von uns wohl einige Gratabschnitte des Alpenhauptkammes bekannt waren, dass sich aber auch eine größere Anzahl unbekannter, mit vielen Fragezeichen versehener Teilstücke darboten. Wir wollten es uns zur Aufgabe stellen, möglichst immer ohne Umgehungen am Grat zu bleiben. Auch wollten wir versuchen die gesamte Überschreitung in 32 Tagen, in einem Zug als echte Stafette mit Wimpel und Buchübergabe an den einzelnen Tagesetappenzielen, zu bewältigen.

Aber auch die größten Optimisten konnten realistisch gesehen vorausahnen, dass diese ideale Stafette aufgrund verschiedenster Faktoren nicht möglich sein würde. Walters Plan sah sogar diverse Autoübergaben vor, sodass bei optimalem Verlauf immer am Etappenziel ein Auto zur Heimfahrt bereit sein sollte. Es war auch klar, dass sich einige Mitglieder für mehr als eine Etappe zur Verfügung stellen mussten – und so wurden die Teilstücke wie auf einer Börse, an den Klubabenden vor dem Start vergeben. Unseren „älteren Herren“ – gemeint sind die Vereinskameraden, die den Siebziger zum Teil schon weit überschritten hatten – wurden natürlich die leichtesten und kürzesten Abschnitte zugedacht. Aber ich will es gleich vorwegnehmen – sie haben ihren Beitrag zu dieser großen Vereinsidee bestens und pünktlich erbracht und haben dadurch das Gelingen ermöglicht.

Schnelle Ernüchterung

Die Verwirklichung der laufenden Übergaben musste bald nach Beginn aufgegeben werden. Miserable Gratverhältnisse und Schlechtwetter machten uns bald einen Strich durch die Rechnung, an die wir allesamt von vorneherein kaum glauben konnten. Der Zeitpunkt des Starts war in diesem Jahr durch die späten Schneefälle zu früh und andererseits wollten wir aus Personalproblemen nicht in die große Urlaubszeit hineinkommen. Manche Etappen konnten wie am Schnürchen heruntergespult werden, manche aber erwiesen sich als echte Bewährungsproben – sei es durch Unmengen von Schnee (wie in den Nauderer Bergen), oder durch wilde, riesige Grattürme, die sich in verschneitem, teilweise überwechteten Zustand als fast unzumutbare Hindernisse darboten in den Zillertalern). Manchmal wurde ein Gratstück mehrmals versucht, ehe es gelang und manche Abschnitte blieben lange Zeit aus verschiedensten Gründen offen.

Firmisanschneide

Gewaltige Etappen
Es gab aber auch etliche „Königsetappen“ und deren waren nicht wenige. Schon der Start in der Silvretta Gruppe mit den ersten Abschnitten enthielt bereits einige bergsteigerische „Appetithappen“: Überschreitung der Fluchthörner bei winterlichen Verhältnissen, dann der komplizierte Kammverlauf vor dem Reschenpass. Nach der höchsten Grenzspitze Österreichs, der Weißkugel 3739 m, war wohl einer der schönsten Tagesabschnitte die Überschreitung des Kleinen und Großen Similaun, Westliche, Mittlere und Östliche Marzellspitze bis zur Hinteren Schwärze 3624 m. Der scharfe Grat zwischen den beiden Hochwilde Gipfeln und am Granatenkogel waren weitere Höhepunkte.

Die Klettereien übers Goldkappl und am Pflerscher Tribulaun mit heiklen Eisrinnen Abstiegen, die außerordentlich schlechten Verhältnisse am Griesgrat (Hochfeiler) und am Hohen Weißzint, weiters die berühmten Gratstücke am Turnerkamp, an der Östl. Floitenspitze und der Kasselerspitze – das alles waren für die einzelnen Seilschaften große Erlebnisse, dienten darüber hinaus der Idee der Schöpfer und stellten meiner Meinung nach, den Sinn und Zweck eines alpinen Vereins (über den schon so oft und lang diskutiert wurde) in ein unübersehbar helles Licht.

240 km Gratlinie mit 209 Gipfeln

Ramolkogel

Aus den vorgesehenen 32 Tagesetappen, die wir für den 240 km langen Grat mit den 209 Gipfeln eingeplant hatten, wurden allerdings 56, zum Teil sehr harte und beschwerliche Tage. 32 Gipfelstürmer waren an der Überschreitung beteiligt, aber ein Mann muss als Seele des Unterfangens hervorgehoben werden: Gerhard Primisser war es, der nach Rückschlägen durch die miserablen Bedingungen (Neuschnee, Regen, Nebel etc.), bei denen einige die Flinte ins Korn werfen wollten, immer wieder ermutigt aufbrach um fehlende Grenzkammlücken zu füllen. Meist allein verbrachte er insgesamt 16 Tage am Grat, wobei er dreimal biwakierte und 55 Gipfel für sich in Anspruch nahm. Gerhard ermutigte aber auch andere – und so konnte die große Idee letztendlich als Gemeinschaftsakt doch noch verwirklicht werden.

Natürlich gab es neben Gerhard auch noch andere besonders fleißige „Gratüberschreiter“ und ich möchte diesen, ohne die vielen anderen zu vergessen, die ihre Pflicht erfüllten und zum Teil unter schlechtesten Bedingungen ihr Pensum am Hauptkamm absolvierten, auch ein paar Zeilen widmen. Da war vor allem Roman Klingenschmied, ein unermüdlicher Mann, der 9 Tage am Grat verbrachte und nicht weniger als 40 Gipfel für sich in Anspruch nahm. Zusammen mit Gustl Kirchmeyer war er im Kaunertaler Hauptkammgebiet an zwei aufeinanderfolgenden Tagen nicht weniger als 27 Stunden mit Zelt und Loipes-Ski unterwegs.

Überhaupt waren die Teilnehmer mit der Ausrüstung sehr erfinderisch. Neben Tourenski und Loipes wurden auch 80 cm lange Spezialski verwendet und sogar Husky Hunde wurden auf zwei Etappen, mit einem nicht gerade leichten Felsabstieg, mitgenommen.

Zu erwähnen wäre auch, dass durch das Reaktorunglück in Tschernobyl eine gewisse Abneigung gegen den Aufenthalt in den Tiroler Gletscherregionen gegeben war. Walter Spitzenstätter war nicht weniger als 5 Tage am Grat und konnte immerhin 30 Gipfel für sich verbuchen. Auch Erich Faulhammer und Klaus Brandmaier waren 5 Tage unterwegs und durften zusammen 40 Gipfel ersteigen. Schließlich gehörte auch Ruppi Geiswinkler mit 4 Grattagen zu den Emsigsten. Rudl Bräuer, unser jahrelanger treuer Gast war ebenfalls nicht weniger als 4 Tage dabei und konnte 13-mal den Gipfelhändedruck (der vom Roman wird nicht sehr sanft gewesen sein . . .) genießen!

Überschreitung der Floitenspitzen

Die größte alpine Gemeinschaftsunternehmung der Gipfelstürmer
Es war aber nicht das Abhaken und die Lückenfüllung in der Statistik, es waren die gemeinsamen Stunden und die vielen unerwarteten, völlig unbekannten Hindernisse, die aus der Idee ein komplexes Gemeinschaftserlebnis formten und in dieser Hinsicht unsere eigenen Erwartungen und besonders die der Initiatoren um ein beträchtliches Stück übertrafen.

Was glänzt ist für den Augenblick geboren (Goethe, Faust). Diese Tat glänzt nicht, wir haben sie uns leichter vorgestellt und schneller realisierbar. Aber sie wurde zu Ende gebracht und ich bin mir sicher, dass junge, neu hinzugekommene Mitglieder aus dieser Idee heraus, neue Ideen entwickeln werden, die der Kommunikation in der Gemeinschaft dienen, einer Gemeinschaft zu Ehren, die wir alle brauchen – ob Freeclimber oder Wanderer. (Otti Wiedmann)

 

ETAPPEN zum 75 Jahr – Jubiläum
Die Überschreitung wurde in 32 Etappen aufgeteilt.

5. Etappe am 19. Mai 1985 (Walter Spitzenstätter, Peter Ohnmacht)
5. Etappe – Grenzkamm Überschreitung 1985

6. Etappe am 21. Mai 1985 (Walter Spitzenstätter, Peter Ohnmacht)

7. Etappe am 22. Mai 1985 (Roman Klingenschmied, Gustl Kirchmeyer)

14. Etappe am 6. Juni 1985 (Walter Spitzenstätter, Gerhard Primisser)
14. Etappe – Grenzkamm Überschreitung 1985

16. Etappe am 30. Mai 1985 (Ruppi Geiswinkler, Ferry Theyermann, Heindl Plattner)
Vom Bildstöckel Joch – (am Nachmittag) über Gamsplatzl zur Siegerland Hütte, dort Übernachtung. Am 31. Mai 1985 –  Siegerland Hütte – Hohes Eis – Sonklarspitze – Wilder Pfaff – Wilder Freiger – Roter Grat – Nürnberger Hütte – Stubaital.

Am Hohen Eis

Ruppi am Wilden Freiger

Am Weg zum Wilden Freiger

Roter Grat

22. Etappe am 5. Juni 1985 (Ruppi Geiswinkler, Ferry Theyermann, Heindl Plattner)
Vom Brenner Pass – Geigenspitze – Wolfendorn – Wildseespitze – Landshuter Hütte – dort Übernachtung. Am 6. Juni 1985 – Kraxentrager – und über Tiroler Höhenweg zum Pfitscher Joch. Dort Wimpel Übergabe an Löffler Erwin.

Siegerlandhütte

Der Wolfendorn im Hintergrund

Gratverlauf vom Kraxentrager in Richtung Osten

Plattner, Löffler u. Geiswinkler